Wenn ein x-beliebiger Hersteller den x-ten EL34-Vollverstärker auf den Markt bringt, wäre das in den meisten Fällen kaum einer Erwähnung wert. Wenn der Hersteller jedoch Audio Note heißt, gleichbedeutend mit einer neuen Einstiegsofferte in die AN-Welt der Integrierten, dann lockt das auch abgezockte Röhren-Freaks hinter dem Ofen hervor!
Vollverstärker mit der Pentode EL34 gibt es wie Sand am Meer. Und nahezu jeder Hersteller, der Röhrenverstärker baut, hat auch mindestens ein Modell mit dieser Röhre im Programm. Lassen sich halt recht günstig und mit vergleichsweise wenig Aufwand bauen, die Dinger. Gute 30 Watt holst du in Standard-Push-Pull-Schaltung immer aus dieser Pentode raus, was für die meisten Lebenslagen des durchschnittlichen Musikhörers mehr als ausreicht. Unzählige solcher Modelle habe ich bereits zu Hause zum Testen gehabt. In Anlehnung an eine berühmte Fernsehwerbung für Reis bin ich im übertragenen Sinne fast geneigt zu sagen: gelingt immer und klebt nicht. Böse formuliert will ich eigentlich sagen: Mit dieser Röhre kannst Du im Grunde nicht viel falsch machen, sie spielt immer irgendwie anständig, die meisten Verstärker klingen allerdings recht ähnlich und eben meist auch nicht furchtbar aufregend.
Und jetzt das: Audio Note baut mit dem neuen Vollverstärkermodell Cobra ebenfalls ein Gerät mit dieser weit verbreiteten, robusten Pentode. Nun wäre Audio Note aber nicht Audio Note, wenn es sich dabei nicht um ein Gerät mit vielen Besonderheiten handelte. Persönlich bin ich zudem nicht nur vorbelastet, sondern darf mich an dieser Stelle gleich als Audio-Note-Fan outen: Lange Jahre habe ich einen Audio Note M1 Phono-Vorverstärker besessen und jüngst habe ich mir aus tiefster klanglicher Überzeugung den Audio Note M2 Phono zugelegt. Das Teil ist einfach der Hammer: Das integrierte Röhrennetzteil macht den Unterschied. Soviel nur mal am Rande. Ich bin in Bezug auf Audio Note also durchaus vorbelastet und deshalb schürt dieser neue Audio Note Vollverstärker bei mir auch eine hohe Erwartungshaltung!
Das grundlegende Design des Gehäuses mit der schrägen Frontkante, die die wesentlichen Bedienelemente beherbergt, erinnert durchaus an die äußere Erscheinung der großen Vollverstärker-Geschwister Jinro, Tomei und Ongaku. Die Assoziation ist womöglich sogar gewollt. Der Cobra baut natürlich längst nicht so tief, da Übertrager und Netztrafo bedeutend kleiner ausfallen können und auch keine Gleichrichterröhre auf dem Chassis untergebracht werden muss. Dafür kostet das Gerät mit knapp 4.000 Euro auch nur circa ein Fünftel des „kleinsten ganz Großen“, dem Jinro, schließlich sind wir hier auf dem Level 1 der Audio Note Hierarchie unterwegs, wohingegen Jinro (Level 3), Tomei (Level 4) und Ongaku (Level 5) dann doch in einer anderen Liga spielen.
Die EL34 kommt zwar wie so oft in Push-Pull-Anordnung daher, hier jedoch scheinbar in konservativerer Class-A-Auslegung mit lediglich 27 Watt Ausgangsleistung an acht Ohm und liegt damit unterhalb der obligatorischen 30er-Marke. Was mich tatsächlich erstaunt ist, dass die EL34 nicht im optional umschaltbaren Triodenmodus betrieben wird. Hochinteressant dagegen sind die Eingangs- und Treiberstufen, die alles andere als üblich sind: Die kleine Pentode JAN-6AU6WC von General Electric kam respektive kommt eigentlich in Vintage-Hammond-Orgeln oder Röhrenmikrofonen zum Einsatz. Die 6AU6WC in der JAN-Version (Joint Army/Navy) ist eine für extreme Situationen entwickelte Röhre, die starke Vibrationen oder extreme Hitze locker wegsteckt und damit in dieser Hinsicht schon Mal beste Voraussetzungen für Audioanwendungen mitbringt.
Bemerkenswerterweise gibt es diese offenbar noch nicht „abgegraste“ Röhre sogar bei seriösen Händlern als NOS von GE für vergleichsweise günstige 15 bis 20 Euro pro Stück. Die kleine Doppeltriode JAN-5670W ist sogar noch etwas günstiger zu bekommen, so dass man sich schon jetzt vorsorglich – das eigene Budget schonend – mit einigen Wechselsätzen auszurüsten könnte, für den sicheren Fall, dass irgendwann einmal ein Austausch notwendig werden sollte. Die 5670W fungiert als Phasensplitterstufe, die Pentode 6AU6WC wird in Quasi-Triodenschaltung (sic!) betrieben.
Ein weiteres besonderes Merkmal dieses Vollverstärkers ist, dass er digitale Signale verarbeitet. Mit einem solchen Feature würden womöglich die wenigsten Audio-Note-Fans rechnen, zumindest ich tue respektive tat es nicht. Die Bedienungsanleitung gibt übrigens keine näheren Auskünfte zum Digital-Analog-Wandler preis. Die mit D1, D2 und D3 bezeichneten Digitaleingänge kommunizieren mit USB-B, TOSLINK und Digital-Koaxialkabeln, viel mehr wird außer der jeweiligen Bit-Anzahl und den Sampling-Frequenzen nicht erläutert. Auf Nachfrage hat der Entwickler des Cobra von Audio Note, Darko Greguras, mir noch verraten, dass der altehrwürdige 16-Bit-Chip Philips TDA1543 eingesetzt wird. Gleichwohl werde ich mangels geeigneten Equipments die dezidierte DAC-Sektion nicht separat testen können. Über einen modernen Streamer verfüge ich nicht, auch alle jemals in meinem Besitz befindlichen CD-Spieler mit in der Regel vorhandenen Digitalausgängen wurden schon lange aussortiert und selbst als Mac-Fan mit hoher Computeraffinität habe ich das Musikhören via Computer noch nicht gelernt. Aber ich gelobe Besserung und werde mir wohl demnächst wieder einen klassischen CD-Spieler für Testzwecke zulegen.
Der Verstärker wird übrigens mit einer Audio Note Systemfernbedienung ausgeliefert, mit der sich die Eingänge umschalten lassen, die Lautstärke regeln lässt oder das Gerät in den Stummmodus versetzt werden kann. Auch als oller Fernbedienungsmuffel habe ich mittlerweile sogar hin und wieder die Vorzüge dieser Bequemlichkeit im Testalltag schätzen gelernt, obwohl der bornierte Herr Engstirn in mir diese Dinger sonst ja eigentlich strikt ablehnt…
Grundsätzlich besticht der Cobra wie bei Audio Note üblich durch exzellente Verarbeitungsqualität, und das nicht nur äußerlich. Da klappert nichts, es gibt keine scharfen Kanten und auch die Bedienelemente bewegen sich ansprechend sauber. So soll und muss es sein, alles andere wäre bei einem Gerät dieser Preisklasse ja auch nicht akzeptabel – Pflichtenheft erfüllt! Die Cinch-Buchsen sind versilbert, anders als bei vielen anderen Herstellern, die hier oft auf eine dünne Goldschicht setzen. Nach dem Entfernen des oberen Gehäusedeckels setzt sich der erstklassige Eindruck auch im Inneren fort: blitzsaubere Platinen, ein klarer, aufgeräumter Innenaufbau und hochwertige Bauteile wie zum Beispiel die von Audio Note selbst gewickelten Übertrager mit Doppel-C-Kern runden den überaus positiven Gesamteindruck ab. Kleine Anekdote am Rande: Audio Note suchte vor nicht allzu langer Zeit neues Personal für das Wickeln der Übertrager. Nach einer weltweiten Ausschreibung wurden sechs Kandidaten in die engere Wahl gezogen, von denen letztlich allerdings nur einer alle Anforderungen erfüllte und eingestellt wurde…
Natürlich war ich gespannt wie denn der Cobra – selbst jetzt in der Mitte des Textes fällt es mir immer noch schwer, nicht „die Cobra“ zu schreiben – nun klingt und verbandelte den Vollverstärker mit meinen neuen Odeon Rigoletto 2020 Zweiweghörnern mit einer Empfindlichkeit von 94 Dezibel pro Watt und Meter, für die die nominell 27 Watt Ausgangsleistung an acht Ohm ja quasi schon einen Leistungsoverkill darstellen. Schon in der Warmlaufphase, in der ich einige Vinylscheiben eher nebenbei durchdudelte, war der typische Audio-Note-Charakter zu erkennen: Es klang satt, schnell und farbstark und alles andere als anämisch. Also eher dralles Curvy Model als klapperdürre Laufsteggrazie. Nach gut eineinhalb Stunden Dauerbetrieb schien sich der Cobra vollends akklimatisiert zu haben und er sprühte jetzt vor Spielfreude. Erstaunlicherweise ließ das Poti trotz der gegenüber meinen Trioden gut zehnfachen zur Verfügung stehenden Leistung einen vernünftigen Regelbereich zu; tatsächlich hatte ich erwartet, es würde aus Rücksicht auf meine Ohren in der Neun-Uhr-Position kleben bleiben.
Dieser Leistungsheadroom sorgte dafür, dass das Bassfundament noch wuchtiger und substanzieller geriet, als ich es zum Beispiel vom meinen eigenen 2A3(H)-Trioden gewohnt bin. Ich war so richtig auf Spaß aus – meine Frau frotzelte ob der Lautstärken „auf Krawall gebürstet“ – und ich hatte zunächst keine Lust auf anstrengende „ernste“ Musik, also war es mal wieder Zeit für die obligatorischen „Hells Bells“ von AC/DC (Back in Black, Atlantic Records, 1980). Beim Losscheppern der Höllenglocken hatte ich zeitweilig Angst um die kleinen GAP 18-Zentimetertreiber der Odeons, so donnerten die Tieftöne durch meinen Hörraum. Letztlich war die Angst unbegründet, zeigten die Tiefmitteltöner doch kaum sichtbare Auslenkungen.
Weiter ging es mit alternativem Rock-Pop aus Island. Nanna Bryndis Hilmarsdottir, Sängerin der isländischen Band Of Monsters and Men, sorgte mit ihrer so besonderen Stimme für eine ganz subtile Spannung in „I Of The Storm“ vom 2015er-Album Beneath the Skin. Der Audio Note Cobra vermochte es, alle Nuancen ihrer Gesangsfacetten herauszuarbeiten und erlebbar zu machen, das war schon Gänsehaut pur. Feinste, leise ausklingende Töne wurden klar und substanziell wiedergegeben. Rein subjektiv schien die Bühne, die dieser Verstärker aufbaute, minimal weiter in die Tiefe ausgedehnt zu sein als in die Breite. Das mag aber durchaus ein Effekt sein, der stark raum-, lautsprecher- und musikmaterialabhängig ist und gar nichts mit dem Cobra zu tun hat, sondern ein Indiz dafür, dass ich für meine neuen Lautsprecher noch nicht die perfekte Aufstellung gefunden habe. Bei der Platte Strangeways, Here We Come von The Smiths (Rough Trade, 1987) beispielsweise relativierte sich dieser Effekt nämlich wieder, ebenso mit Vivaldis Die vier Jahreszeiten (Yehudi Menuhin, His Master´s Voice, 1985). Jedenfalls macht der Cobra wahnsinnig viel Spaß und in der Folge kam über etliche stundenlange Hörsessions so ziemlich alles von Bruce Springsteen über R.E.M. bis Torfrock auf den Plattenteller.
Tendenziell liegt der Audio Note Cobra klanglich und tonal ganz leicht „diesseits“ der Grenze zwischen warm und analytisch auf der sicheren, angenehmen Seite. Jede Schärfe ist ihm fremd. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Cobra hat ein sehr hohes Auflösungsvermögen, ist quicklebendig und verfügt sogar über eine gewisse souveräne „Lässigkeit“ sowie sehr weit ausgedehnte Frequenzenden, sowohl im Hoch- als auch im Tiefton. Er macht das Musikgenießen aufgrund seiner enormen Spielfreude sehr leicht und ist damit ein idealer Partner für unbeschwertes, ermüdungsfreies Langzeithören, quasi der perfekte Allroundverstärker mit ausreichend Leistungsreserven für alle Lebenslagen.
Der Audio Note Cobra ist damit ein würdiges neues Mitglied der großen AN-Familie mit all den typischen Genen und Tugenden, die diese HiFi-Marke eben auszeichnen. Zudem ist dieser Vollverstärker Teil einer neuen Verstärkergeneration, die sich derzeit bei Audio Note in Entwicklung befindet. Augenfälliges Merkmal des Cobra neben der Digitalsektion ist die für Audio Note Verhältnisse relativ hohe Ausgangsleistung, die es erlaubt, auch mit im direkten Vergleich zu hauseigenen Lautsprechern unempfindlicheren Fremdmodellen gut klar zu kommen. Damit richtet sich der Cobra insbesondere an potentielle Quereinsteiger der Marke Audio Note. Dieser durchaus interessante Gedanke steht nicht etwa im Gegensatz zum sonst im Vordergrund stehenden Kettengedanken von Audio Note, sondern stellt vielmehr einen neuen, ergänzenden strategischen Ansatz dar.
STATEMENT
Ich könnte schlicht hervorheben, dass der Cobra eine hochinteressante Erweiterung von Audio Notes Level 1 Portfolio darstellt – was ja tatsächlich der Fall ist. Oder ich könnte es mir besonders einfach machen und behaupten, ich hätte noch nie eine bessere EL34 gehört – was die simple Wahrheit wäre. Ich könnte aber auch jedem, der auf der Suche nach einem famos klingenden Allround-Röhrenvollstärker mit Digitaleingängen ist, empfehlen, zuzuschlagen, solange das Gerät als Einstiegsofferte noch zu diesem Kurs zu bekommen ist. Was ich hiermit unbedingt tue!
Gehört mit
|
|
---|---|
Plattenspieler | Rega Planar 8 |
Tonabnehmer | Clearaudio Charisma V2 |
Phono-Vorstufe | EAR Yoshino 834P |
Lautsprecher | Odeon Rigoletto 2020 |
Zubehör | Reson LSK Lautsprecherkabel, Audio Note AN-S Interconnect Pure Silver NF-Kabel, Netzleiste AudioQuest PowerQuest 3 |
Möbel | Hi-Fi Racks Ltd, Rega Wandhalterung für Rega Planar 8 |
Herstellerangaben
Audio Note Cobra
|
|
---|---|
Geräteart | Vollverstärker |
Netzspannung | 220/240V AC/50Hz |
Eingänge Line | 3 x Line |
Eingänge digital | 1 x USB (16Bit/48kHz) 1 x optisch TOSLINK (24Bit/96kHz) 1 x COAX (24Bit/176kHz) |
Eingangsimpedanz | 100kOhm |
Eingangsempfindlichkeit | 300mV |
Kanalabweichung | +/- 0,3dB |
Impedanz Lautsprecherausgänge | 4 - 8 Ohm |
Ausgangsleistung | 2 x 27 Watt |
Röhrenbestückung | 4 x EL34, 2 x 5670, 2 x 6AU6 |
Ausstattung | Fernbedienung |
Schaltung | Push-Pull, Class A |
Gehäusefarbe | Schwarz |
Frontblende | Schwarz |
Abmessungen (B x T x H) | 340 mm x 450 mm x 180 mm |
Gewicht | 13,6kg |
Maximale Leistungsaufnahme | 175W |
Preis | 3950 Euro |
Vertrieb
Stefan Wörmer - Fair Audio Trade UG (haftungsbeschränkt)
|
|
---|---|
Anschrift | Soltauer Straße 44 29646 Bispingen |
Telefon | +49 5194 5050599 |
an@fair-audio-trade.de |