Die Röhrenprofis von Vacuum Tube Logic aus dem kalifornischen Chino bauen mit dem IT-85 einen scheinbar stinknormalen EL34 Gegentaktverstärker, der in vielerlei Hinsicht anders konstruiert ist als es der gemeine Röhrenfreak erwarten würde und dabei völlig anders klingt als jeder EL34-Verstärker, den ich jemals zuvor gehört habe.
Der Name Vacuum Tube Logic ist vielen wahrscheinlich weniger geläufig als das Kürzel VTL. Hinter der nahe Los Angeles im Westen der Vereinigten Staaten ansässigen Firma steckt die Familie Manley. Bereits 1980 wurde VTL von David Manley in Südafrika gegründet, bevor er nach einigen Stationen in Europa schließlich 1988 in den Westen der USA umzog. Dort gründeten David und seine damalige Ehefrau EveAnna Manley das zweite Unternehmen Manley Laboratories Inc. für professionelles Studioequipment wie Mikrofonvorverstärker oder Equalizer. Wer sich heute auf der Webseite von Manley Laboratories umschaut, wird dort neben Profigeräten für Studios übrigens ebenfalls HiFi-Röhrenverstärker antreffen, die jedoch weitaus unkonventioneller daherkommen als jene unter dem Label VTL, doch das nur mal so am Rande. Der eine oder andere wird sich womöglich an den ikonischen Kultvollverstärker „Stingray“ erinnern, den es bis heute in der Version „II“ gibt und dessen grundlegende Formgebung an die eines Rochens erinnert, daher auch der Name des Geräts.
Unser VTL IT-85 jedenfalls gefällt mir schon rein optisch ausgesprochen gut. Auf den ersten Blick gibt er sich nämlich gar nicht als Röhrengerät zu erkennen, sondern kommt mit seinem geschlossenen Gehäuse eher im klassischen Erscheinungsbild daher, quasi getarnt als herkömmlicher Transistorvollverstärker. Gut, das gelochte Gehäuseblech mutet etwas verdächtig an und die typischen Kühlrippen, auf denen die Transistoren üblicherweise rücklings sitzen, fehlen hier, aber zur Bekämpfung etwaiger Hitzeentwicklung könnten ja grundsätzlich ein paar Löcher im Deckel auch nicht schaden. Und auch das Rauchglas in der Mitte der Frontplatte könnte ja ein optisches Gimmick sein, allerdings geben sich die Röhren im Inneren spätestens nach dem Einschalten des Geräts durch ihr rötliches Glimmen zu erkennen und dann ist es vorbei mit dem Täuschungsmanöver. Normalerweise kommen Röhrenverstärker ja eher im Angebermodus daher und ziehen mit ihren vielen auf einem offenen Chassis angeordneten Röhren, das oft genug wie eine Art Altar anmutet, eine große Show ab. Für mich ist diese eher unprätentiöse Bauweise des VTL jedenfalls eine durchaus willkommene und für meinen Geschmack auch hinsichtlich der Größe und Proportionen sehr gelungene Abwechselung.
Rein technisch gibt es auf den ersten, oberflächlichen Blick nichts allzu Aufregendes zu entdecken. Die Eingangsstufe bilden zwei kleine 12AU7 Doppeltrioden, als Treiber folgen vier 12AT7, die allesamt von JJ stammen. Diese wiederum befeuern die vier in Gegentaktschaltung arbeitenden EL34 Pentoden von Electro Harmonix. Die laufen im Ultralinearmodus, lokale Gegenkopplung, Ausgangsleistung circa 60 Watt. Umschaltbarer Triodenmodus? Fehlanzeige. Röhrengleichrichtung? Nix da. Und anstatt leckerer New Old Stock Röhren sind zudem die üblichen Verdächtigen neueren Produktionsdatums in die direkt auf die große Hauptplatine gelöteten Standard-Röhrenfassungen eingestöpselt. Schaltungslayout am Computer anstatt freie Verdrahtung inklusive kunstvollem Löthandwerk also. Noch konnte ich mich nicht so recht begeistern für diesen ja doch sehr knuffigen Verstärkerquader. Zumal auch die Lautsprecherklemmen keine Wahl lassen zwischen vier oder acht Ohm Lautsprecherimpedanz, die Übertragerwicklungen geben als Kompromisslösung fixe fünf Ohm vor. Spätestens jetzt kam ich ins Grübeln und kratzte mir irritiert die Stirn. Einfache Hausmannskost also, nur ein weiterer und auf den ersten Blick auch noch ambitioniert bepreister Standard-EL34-Verstärker, die es gefühlt wie Sand am Meer gibt? Wie sehr ich mich getäuscht hatte, sollte ich erst später erfahren. Jedenfalls setzen die Amis ihre auf der eigenen Webseite erläuterte Philosophie – „What We Believe“ – konsequent um: hohe Ausgangsleistung, eine einfache Schaltung, kurze Signalwege und hochwertige Bauteile. Wobei ernsthafte Röhrenfreaks das ja durchaus anständige Röhrenensemble von JJ und Electro Harmonix kurzerhand gegen feine NOS-Derivate austauschen werden, denn hier schlummert doch ein gewisses Potenzial hinsichtlich der Bauteilqualität.
In Sachen Ausstattung kommt der VTL IT-85 durchaus komfortabel daher. Mit der etwas einfachen Kunststofffernbedienung lässt sich bequem die Lautstärke bedienen oder gleich der ganze Verstärker in den Stumm-Modus versetzen. Weitere Funktionen lassen sich zwar nicht aus der Ferne steuern, aber für meinen Geschmack ist diese praxisgerechte Beschränkung auf das Wesentliche der richtige Weg, anstatt den kleinen Geber mit zu vielen Knöpfen zu überladen und die Bedienung dadurch zu umständlich werden zu lassen. Tatsächlich ist die Notwendigkeit zum Umschalten der Eingangsquellen aus der Ferne ohnehin nicht nötig, von denen es übrigens fünf an der Zahl gibt. Dabei handelt es sich ausschließlich um Hochpegelquellen inklusive eines klassischen Tape-Eingangs, zu dem es konsequenterweise auch einen Tape-Out-Ausgang gibt. Darüber hinaus ließe sich der VTL per externer Vorstufe auch als reine Endstufe nutzen. Außerdem gibt es noch einen mit Pre-Out bezeichneten Cinch-Ausgang, um beispielsweise einen zusätzlichen aktiven Subwoofer anzusteuern. Und wer in nächtlichen Hörsessions seine Familie oder die Mitbewohner nicht nerven will, für den hält der Verstärker auf der Front eine klassische 6,35-Millimetet-Klinkenbuchse für Kopfhörer bereit.
Ein Wort vielleicht noch zu den Röhren beziehungsweise zum Röhrentausch. Nach dem Einschalten des Verstärkers startet die etwa eine halbe Minute dauernde Aufwärmphase, bevor ein gut wahrnehmbar klickendes Relais die Ausgänge freischaltet. Das bedeutet jedoch nicht, dass man den Verstärker sogleich voll aufdrehen sollte. Die Röhren benötigen durchaus fünfzehn bis zwanzig Minuten, um auf ihre volle Betriebstemperatur zu kommen, vorher würde ich ihnen nicht mehr als moderate Zimmerlautstärke zumuten. Diese Faustregel gilt nicht nur für den VTL IT-85, sondern grundsätzlich für jeden Röhrenverstärker.
Allzu motivierte Röhren-Newbies sollten vor Beginn ihrer Tube-Rolling-Karriere beim Wechsel der Endpentoden im VTL IT-85 bedenken, dass hier keine Bias-Anzeige vorhanden ist, die etwaige Hilfestellung geben könnte. Neben den kleinen Öffnungen für die per Schraubendreher zu verstellenden Trimmpotis befinden sich noch die Buchsen mit den Messpunkten für ein Multimeter, um die Röhrenvorspannung für die neuen Röhren korrekt einzustellen. Wer sich damit nicht auskennt, überlässt so etwas lieber einem Fachmann.
Grundsätzlich erweckt das gesamte Verstärkerdesign – insbesondere die eingesperrten Röhren, das Fehlen einer Bias-Anzeige sowie die fixen fünf Ohm Lautsprecherimpedanz ohne weitere Wahlmöglichkeit – auf mich den Eindruck, als sei dies ein Gerät für Musikhörer, für reine Anwender also, die ohne viel technisches Gedöns, mit dem man sich auseinandersetzen müsste, einfach einen erstklassigen Vollverstärker nutzen möchten. Denen es in erster Linie womöglich auch gar nicht so sehr darum geht, dass es unbedingt ein Röhrenverstärker sein muss. Es ist aber einer. Und was für einer!
In Erwartung des typischen EL34-Push-Pull-Sounds – kraftvoll, kontrolliert, allerdings bisweilen etwas uninspiriert – legte ich die erste Scheibe auf und war zunächst irritiert. Hing da doch noch einer der anderen bei mir herumstehenden Verstärker an den Lautsprechern, irgendeine Triode oder so? Natürlich nicht, aber das, was ich hier zu hören bekam, klang keinesfalls nach einer schnöden gegengekoppelten Pentode. Vielmehr zog sich ein dominantes Charakteristikum dieses Verstärkers wie ein roter Faden durch jedwedes Musikmaterial: Der VTL IT-85 ist völlig tiefenentspannt. Und zwar auf eine Art und Weise, dass er sich quasi „die Zeit nimmt“, die Musiker stets an die ihnen zugedachte Position zu setzen, von der sie sich dann auch keinen Millimeter mehr wegbewegen, sondern sie bleiben wie festzementiert auf ihren Plätzen. Das Klangbild wirkt dadurch nie unruhig, hektisch oder nervös. Zudem ist die Bühne in alle Richtungen stets sehr großzügig und, viel wichtiger, sie behält ihre Dimensionen konstant bei. Der Hintergrund ist in leisen Passagen oder Pausen schön schwarz. Keine Frage, der VTL schwingt hier das Zepter und hat alles voll unter Kontrolle, und wehe dem, der aus der Reihe tanzt!
Das vorgenannte Attribut „tiefenentspannt“ meint allerdings nicht, dass wir hier im Bummelzugtempo unterwegs wären. Wenn der VTL IT-85 mit dem richtigen Musikmaterial von der Kette gelassen wurde, dann gab es kein Halten mehr und er langte wieselflink und mit schon beängstigend brachialer Gewalt hin: Bei „All My Life“ von den Foo Fighters (One by One, RCA/Legacy, 2002) explodierte das Drumset von Taylor Hawkins förmlich, wenn er nach Pausen wieder einsetzte. Der Verstärker stellte seine Leistung sofort bereit, wenn sie gebraucht wurde und er gab dem Hörer das subjektive Gefühl, dass noch unendlich viel mehr Headroom in ihm schlummerte. Das alles passierte mit knackiger Kontrolle: Auch Tiefbässe kamen blitzsauber konturiert und im wörtlichen Sinne dabei tatsächlich tief. VTL setzt ganz offensichtlich hervorragende Übertrager ein, die schon ziemlich weit in den Frequenzkeller hinabsteigen. Eine kleine Schummelei ließ ich dem VTL übrigens gerne durchgehen: Im Oberbass war zwar noch kein Bäuchlein zu erkennen, sehr wohl aber eine leichte Betonung, die ich ihm gerne als Spielfreude durchgehen ließ. Insbesondere Live-Scheiben waren mit diesem Verstärker wirklich eine wahre Freude.
Wenn Musiker einen Verstärker bauen müssten, würden sie ihn wahrscheinlich so designen wie diesen VTL IT-85. Er schien auf eine gar nicht einmal euphonische Art und Weise klangtechnisch „gesoundet“ zu sein, wobei er mich nicht irgendwie einzulullen versuchte, sondern mich eher auf eine musikalische Reise mitriss. Dabei nahm er es mit den Klangfarben durchaus genau und malte stets mit korrekter Farbpalette. Vielmehr handelte es sich bei diesem charakteristischen „Sound“ um einen Effekt, den ich schon häufig bei guten Röhrenverstärkern beobachtet habe, nämlich dass die Musik irgendwie aus sich selbst heraus zu leuchten schien: Jede Note, jeder Ton war scheinbar mit einer kleinen Portion Extra-Energie aufgeladen, und zwar unabhängig vom Frequenzbereich. Das ganze musikalische Geschehen löste sich hervorragend vom Lautsprecher ab, so dass dieser vor meinem geistigen Auge verschwand und das völlige Eintauchen in die Musik erlaubte. Und das ist genau das bereits einleitend von mir erwähnte Phänomen: Nie zuvor habe ich einen EL34-Verstärker gehört, der zu solch einer emotional involvierenden Leistung fähig war.
Gut überprüfen konnte ich das auch mit dem Album Aion (4Ad, 1990) von Dead Can Dance. Es enthält etliche Stücke im Renaissance-Stil mit gregorianischem Gesang oder auch traditionellere Lieder mit altertümlichen Instrumenten wie Drehleier oder Dudelsack. Wer hier tonale Sauberkeit und Feindynamik vermissen lässt, wird schnell entlarvt. Das ist dem VTL IT-85 aber nicht passiert, im Gegenteil. Sibilanten jeglicher Couleur und selbst spitze Vokale beim Gesang klangen extrem sauber und einfach angenehm. Die historischen Instrumente spielten dabei sehr farbstark und natürlich auf, auch feinste Verästelungen wurden sehr sauber dargestellt. Dieser Verstärker versteht also nicht nur die grobschlächtige Gangart à la Thors Dampfhammer, sondern auch die Kür à la Eislaufgrazie.
Natürlich wird auch das Standardpflichtenheft des erbsenzählenden Durchschnitts-High-Enders zur vollsten Zufriedenheit erfüllt, aber von mir erwartet doch hoffentlich niemand, dezidiert über Höhen, Mitten, Tiefen oder das exakte Timbre der Klangfarben zu berichten, nicht wahr? Ich wusste, wir verstehen uns.
STATEMENT
Der VTL-IT 85 ist ein hervorragend klingender High-End-Vollverstärker reinsten Wassers, der sich keinerlei Fehler erlaubt und dank seiner für einen Röhrenverstär-ker feisten Ausgangsleistung sowie seiner hohen Laststabilität als veritabler All-rounder in Sachen Lautsprecherwahl empfiehlt. Er ist zudem eine Spaßmaschine, die den Fokus ganz klar auf das Musikerlebnis legt, sich eher an Musikhörer denn an Röhrentechnokraten wendet und seine wahren Gene, die Röhrentechnik, auf eine fast schon noble Art in den Hintergrund rückt. Chapeau!
Gehört mit
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Phonovorverstärker | Pro-Ject Phono Box S2 Ultra mit Pro-Ject Accu Box S2 |
Plattenspieler | Pro-Ject Debut PRO + Plattenpuck PRO |
Tonabnehmer | Pro-Ject Pick it PRO |
Lautsprecher | Dynamikks! Model 12 |
Zubehör | Dynamikks! Speakerlink I, Phono NF-Kabel Pro-Ject Connect-it RCA-E |
Möbel | Hi-Fi Racks Ltd |
Herstellerangaben
VTL IT-85
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Geräteart | Röhren-Vollverstärker |
Röhren | 2x EL34, 4x 12AT7 (ECC81), 2x 12AU7 (ECC82) |
Netzspannung | 230V AC/50 Hz |
Eingänge | 5x Line (RCA), 1x Processor/Pre-Amp in |
Eingangsempfindlichkeit | Line in: 180mV, Pre-Amp in: 575mV |
Eingangsimpedanz | Line in: 20kOhm, Pre-Amp in: 135kOhm |
Ausgänge | 1x Pre-Out, 1x Tape Out, 1x Kopfhörer (Klinke, 6,35mm), 1x Lautsprecher |
Ausgangsimpedanz | Kopfhörer: 16Ohm, Pre-Amp out: 400Ohm |
Impedanz Lautsprecherausgänge | 5Ohm |
Ausgangsleistung | 2x 60Watt |
Ausstattung | Fernbedienung (Lautstärke und Mute) |
Schaltung | Class AB1 |
Frontblende | Schwarz oder Silber |
Gehäusefarbe | Schwarz |
Abmessungen (B x T x H) | 40x28x18cm |
Gewicht | 23kg |
Maximale Leistungsaufnahme | 600Watt |
Preis | 7900 Euro |
Vertrieb
Audio Reference GmbH
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Anschrift | Alsterkrugchaussee 435 22335 HAMBURG |
Telefon | +49 40 53320359 |
Fax | +49 40 53320459 |
Web | audio-reference.de |