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Erlkönig: xMEMS Montara

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Auf der diesjährigen CanJam in London entdeckte ich xMEMS, einen Produzenten von In-Ear-Treibern auf Silizium-Basis aus San Francisco. Direkt nach der Messe war mir klar, dass ich mir die Prototypen im Detail anhören muss. Nach mehreren Monaten des Hörens und Probierens möchte ich jetzt die gemachten Erfahrungen mit Ihnen teilen.

Die Begegnung mit xMEMS auf der CanJam können Sie hier noch einmal nachlesen. Ich habe mir von xMEMS im Anschluss an die Messe zwei „Evaluation Kits“, wie sie intern genannt werden, schicken lassen. Neben den äußerlich identischen In-Ear-Prototypengehäusen mit zwei verschiedenen Treibern, enthält jedes Kit eine Verstärkerplatine samt Akku-Pack, einen kleinen USB-DAC und ein Miniklinkenkabel. Ein Set basiert auf jeweils einem Montara Treiber pro Seite, das zweite Set auf den Montara Plus Treibern. Form, Innenvolumen, Dimensionierung der Schallöffnung der Gehäuse und der Einsatz von verschiedenen akustischen Dämpfern beeinflussen den Klang der Prototypen maßgeblich. Das Experimentieren mit Gehäusen ist für einen Treiberhersteller elementar, um einen guten Treiber zu produzieren. In die schlichten Prototypen ist bereits eine Menge Ingenieurswissen und Abstimmungsarbeit geflossen, dennoch bleiben die Gehäuse ein Entwicklungswerkzeug und sind kein fertiges Produkt. Das Entwickeln von passenden Gehäusen soll Aufgabe der In-Ear-Hersteller bleiben, xMEMS konzentriert sich auf die Fertigung der Treiber. Die Gelegenheit, noch vor der Markteinführung eines auf der Treibertechnologie basierenden Produkts, selbst mit einem „Entwicklerkit“ zu experimentieren und die Möglichkeiten auszuloten, ist gleichermaßen selten, spannend und fordernd. Da zwar der Treiber ein fertiges Produkt ist, jedoch die klangliche Endabstimmung sowohl einsatz- als auch herstellerspezifisch sein wird und in meinem Fall dem persönlichen Geschmack entsprechen wird, kann dieser Text lediglich das Potential der Technologie aus der Sicht unserer vergleichsweise kleinen High-End-Audiowiedergabe-Blase ausloten und stellt keinen Test im eigentlichen Sinne dar. Bis erste auf den xMEMS-Treibern basierende Produkte auf den Markt kommen, kann es inzwischen nicht mehr lange dauern. Die CES im Januar ist ein potenzielles Event für die Vorstellung erster fertiger Produkte.

Was also macht die Treiber in den unspektakulär wirkenden Gehäusen von xMEMS so besonders? In erster Linie die vollkommen neue Technologie. xMEMS ist bisher das einzige Unternehmen, das Mikrotreiber in monolithischer Bauform produziert. Monolithisch meint, dass die gesamte Membranfläche gleichzeitig den „Motor“ darstellt. Es ist weder eine Aufhängung, Schwingspule, Magnet oder ähnliches notwendig. Um das zu erreichen kommt, wie im CanJam-Artikel bereits erörtert, ein Herstellungsprozess aus der Halbleiterfertigung zum Einsatz. Als Basis dient eine aus Silizium gefertigte Trägerplatte, genannt Wafer, die eine umfangreiche Bearbeitung erfährt. Aus einem Wafer entstehen über eintausend Mikrotreiber, die über piezoelektrische Eigenschaften verfügen. Zur Schallerzeugung wird folglich der inverse Piezoeffekt genutzt. Durch das Anlegen einer Betriebsspannung wird die piezoelektrische Membran in einer Ruheposition gehalten. Das Musiksignal sorgt dann für die Auslenkung der Membran. Es können verblüffende Bauformen realisiert werden. Der ohnehin kleine Treiber Montara besteht aus sechs noch kleineren Einheiten, von denen jede wiederum vier eigene bewegliche Elemente aufweist. In einem Montara bewegen sich folglich insgesamt 24 einzelne Mikroelemente. Da sich zwischen den einzelnen Elementen kleine Schlitze befinden, kann ein fertiger In-Ear ventiliert ausgelegt werden und es entsteht kein Druckstau im Gehörgang – ein erfreulicher Nebeneffekt. Der Montara Plus Treiber ist ähnlich einer Saloon-Tür aufgebaut und kann dementsprechend ein größeres Luftvolumen bewegen. In den letzten Jahren hat xMEMS nicht nur eine neue Treibertechnologie aus der Taufe gehoben, sondern gleich eine ganze Palette von dazugehöriger Peripherie. Beispielsweise einen Wafer-Prober, also ein Testgerät für die noch nicht zerteilten und weiterverarbeiteten Wafer, speziell zugeschnitten auf die Überprüfung ihrer korrekten akustischen Eigenschaften, oder ein weiteres Testgerät, das wiederum die fertigen Treiber akustisch vermisst. Die Ergebnisse der Messung werden sogar mit einem eingelaserten Barcode auf den Treibern hinterlegt und sind somit für die Endhersteller leicht nachzuvollziehen.


Eine weitere Besonderheit ist der Frequenzgang der Treiber. Er ist über weite Strecken linear und fällt im Hochton nicht ab, wie es bei konventionellen dynamischen oder Balanced-Armature-Treibern der Fall ist. Auch die Resonanzfrequenz der Treiber liegt ungewöhnlich hoch. Damit lässt sich der Zielfrequenzgang eines fertigen Produkts viel freier gestalten. Für ein optimales Tuning ist der Einsatz von DSPs sehr hilfreich. Die Gruppenlaufzeit der Montaras ist mit etwa 15 Mikrosekunden zwischen 100 und mindestens 10.000 Hertz unglaublich gering und die Phasenlage zwischen 60 und mindestens 10.000 Hertz liegt nur etwa zwei +-1 Grad daneben. All dies sind mehr als ideale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anpassung nach individuellem Geschmack. Der xMEMS-Verstärker Aptos entspricht ebenfalls dem Formfaktor Mikro und dürfte für Hersteller kaum schwierig unterzubringen sein. Aufgrund der notwendigen externen Spannungsversorgung der xMEMS-Treiber von zehn Volt, bietet sich ihr Einsatz besonders in Bluetooth-In-Ears an. Es besteht ohnehin eine vom Zuspielgerät isolierte Spannungsversorgung und die benötigten zehn Volt können leicht bereitgestellt werden. Die Verfügbarkeit und Integration eines DSP-Chips zur Entzerrung sind ebenfalls unproblematisch. Bei kabelgebundener Nutzung müssen sich die Hersteller bei der Abstimmung entweder ausschließlich auf mechanische und passive Entzerrung verlassen oder ebenfalls einen DSP einbinden. Eine für die Einbindung eines DSPs notwendige, zusätzliche Analog-Digital- und Digital-Analog-Wandlung nach einem hochwertigen DAP oder einer Wandler-Kopfhörerverstärker-Kombi ist aus unserer High-Ender-Sicht weniger erstrebenswert. Ich bin gespannt, wie die Hersteller diesen Umstand handhaben werden. Die Einbindung des speziellen Verstärkers samt nötiger Versorgungsspannung bei kabelgebundener Nutzung ist hingegen nicht schwierig, wie das Evaluation Board zeigt. Für den portablen Gebrauch müsste die Lösung nur platzsparender ausfallen. Dass es xMEMS seit unserer Begegnung auf der CanJam erfolgreich gelungen ist, die Treiber direkt und ohne den hauseigenen Mikroamp Aptos an verschiedenen herkömmlichen Kopfhörerverstärkern zu betreiben, werte ich als großen Erfolg. Lediglich die Betriebsspannung muss dann noch eingeschleift werden. Auf lange Sicht ist es sogar denkbar, dass bereits die Quellgeräte die Betriebsspannung zur Verfügung stellen könnten. Ich habe den Eindruck, dass die Technologie sehr positiv aufgenommen wird und sich in dieser Hinsicht einiges entwickeln könnte.

Bewegen wir uns mit xMEMS letztendlich ein Stück weiter in Richtung individueller Hörkurven, die jeder Nutzer sich selbst erstellen kann? Die Technologie ist hierfür aufgrund ihrer hohen Flexibilität geradezu prädestiniert. Doch wie gestaltet man den Zugang dazu möglichst unkompliziert? Sicher können viele von uns mit einem Equalizer umgehen und verstehen ihn Klang gestaltend einzusetzen, aber das heißt ja noch lange nicht, dass man schnell, unkompliziert und frustfrei eine perfekt nach den eigenen Wünschen gestaltete Hörkurve für einen In-Ear mit seinen spezifischen Eigenschaften und Eigenarten erstellen kann. Für mich gilt ähnliches. Ein Equalizer gehört zwar zu meinem täglichen Arbeitswerkzeug, was aber noch lange nicht heißt, dass ich ein Spezialist im Abstimmen von Hörkurven für In-Ears bin. Dennoch nehme ich die Herausforderung an. Falsch machen kann ich nicht viel, außer es im Pegel maßlos zu übertreiben.

Zunächst gilt es, eine möglichst perfekte Arbeitsumgebung herzustellen. xMEMS sieht zur ersten Annäherung eine besonders zugängliche EQ-Variante zur Anpassung auf Freeware-Basis vor. EqualizerAPO ist ein kleines Programm, das auf Windows-Ebene sämtliche vom Computer ausgegebene Signale mit Filtern versehen kann. Es bietet einen 31-Band-Equalizer mit feststehenden oder wahlweise einstellbaren Frequenzen, die abgesenkt oder angehoben werden können. Bei dieser Art Equalizer ist der sogenannte Gütefaktor, auch Q respektive Q-Faktor genannt, also die „Regelbreite“ der einzelnen Frequenzen festgelegt. Zusätzlich bietet EqualizerAPO neben Hoch- und Tiefpässen und High- und Low-Shelves, vollparametrische Glockenfilter. Bei dieser Art von Filtern kann die abzusenkende oder anzuhebende Frequenz vollkommen frei bestimmt und zusätzlich der Q-Faktor verändert werden. Ein Q-Faktor von 1,414 entspricht dabei einer Bandbreite einer Oktave. Am -3 Dezibel Punkt des Filters beeinflusst dieser also genau eine Oktave. So weit so gut, EqualizerAPO bietet alles, was ich zur Frequenzgangkorrektur benötige. Der 31-Band-EQ kann jedoch lediglich einer Annäherung dienen, für ein perfektes Feintuning ist er mir nicht flexibel genug. Zusätzlich kann EqualizerAPO meinen Soncoz DAC nicht direkt über den ASIO-Treiber, sondern nur den Windows-Umweg ansteuern. Somit muss ich bei jedem Frequenzwechsel meines Testmaterials die Samplerate des DACs manuell ändern. Dieses „Problem“ lässt sich recht leicht lösen. Ein Player mit Equalizer-Funktion und direktem Zugriff auf den ASIO-Treiber muss her. Prädestiniert hierfür ist Roon, ein vollparametrischer Equalizer ist bereits eingebaut. Ich möchte jedoch gerne meinen Lieblings-EQ, den FabFilter Pro-Q 3 nutzen. Er bietet mit Abstand die komfortabelste Bedienoberfläche, eine A/B-Vergleichsfunktion und auf Wunsch Filter mit linearer Phase. Da Roon leider keine VST-Filter einbinden kann, bleibt nur foobar2000 oder Audirvana Studio. Um auf Songs aus meiner Streamingbibliothek nicht verzichten zu müssen, entscheide ich mich für Audirvana Studio. Da softwareseitig nun alles sitzt, geht es daran, hardwareseitig eine optimale Umgebung herzustellen. Zur Signalausgabe nutze ich wie bereits erwähnt meinen Soncoz SGD1 DAC, der gemeinsam mit dem Violectric V630 in meinem Arbeitszimmer normalerweise meine Neumann KH 120 A antreibt. Jetzt verbinde ich den Analogausgang des DACs aber direkt mit dem iFi Micro iDSD Black Label, an dessen Ausgang wiederum das Verstärkerboard von xMEMS hängt. Am DAC wähle ich den Linear Phase Fast Roll-Off Filter, da dieser, klangliche Qualitäten anderer Filter hin oder her, den geringsten Höhenabfall aufweist.


Zunächst nehme ich mir die Gehäuse mit den normalen Montara-Treibern vor. Dies war auch auf der CanJam mein erster Berührungspunkt mit xMEMS und löste sofort Begeisterung aus. Bereits ohne Equalizer klingt der Prototyp beeindruckend. Das Gehäusedesign samt akustischem Filter formt den Frequenzverlauf in eine sehr lineare Richtung, was mir grundsätzlich bereits sehr entgegenkommt. Die besonderen technischen Eckdaten, wie die bereits erwähnte Gruppenlaufzeit und der Phasenverlauf, resultieren in einer vollkommen neuen und ungewohnten Auflösungsfähigkeit. Der Hochton ist ohne Equalizer trotzdem noch nicht genießbar. Es ist einfach zu viel des Guten. Dass ein einziger Treiber in der Lage ist, ein derartiges Hochtonspektakel abzufeiern und gleichzeitig bis zu 20 Hertz hinabspielt ist nach wie vor schwer zu begreifen. Das erste vordergründige Tuningziel ist die Reduktion des Hochtons. Beim Tuning selbst verlasse ich mich ausschließlich auf mein Gehör, und mir wird schnell bewusst, dass das Unterfangen anspruchsvoller ist, als zunächst angenommen. Es hilft wenig, mit nur einem besonders hochauflösenden und gut aufgenommenen Referenztitel die eine perfekte Equalizer-Einstellung zu ermitteln. Selbst eine noch so hochwertige Aufnahme hat trotzdem ihren individuellen Sound und kleine Unzulänglichkeiten. Letztendlich würde ich damit weniger den In-Ear tunen, als eher die Unzulänglichkeiten oder den Stil der Aufnahme ausgleichen. Ein gutes Beispiel dafür ist „Jack of Speed“ von Steely Dans Two Against Nature. Es ist genial aufgenommene Musik, aber ob die Hi-Hat bissig oder die Abstimmung einfach noch zu hochtonlastig ist, lässt sich nur im Vergleich mit anderen Tracks ausloten. Ich muss einen Mittelweg finden und behutsam vorgehen. Ich möchte auf keinen Fall auch nur das geringste bisschen der Auflösungsfähigkeit des Montara einbüßen. Deshalb suche ich mir die besonders störenden Frequenzen im Hochton und reduziere ihren Pegel mit Glockenfiltern. Zusätzlich senke ich den gesamten Hochtonbereich ab 16.000 Kilohertz mit einem Shelving-Filter mit einer Flankensteilheit von 12 Dezibel ab. Bei 30.000 Hertz (der EQ ermöglicht tatsächlich diese ungewöhnliche Einstellung) setze ich einen Tiefpassfilter mit einer besonders steil abfallenden Flanke von 24 Dezibel. Der Filter beeinflusst für mich durchaus noch Frequenzen im hörbaren Spektrum, im Gesamtgefüge nehme ich ihn aber nicht mehr wahr. Er dient letztendlich nur dem Aussortieren von meiner Meinung nach eh nicht benötigtem. Setze ich ihn jedoch tiefer an, wird er je nach meiner Tagesform und dem Stück auch im Gesamtkontext hörbar. Der Hochton bleibt in meinem finalen Filter bissig, wenn es das Quellmaterial verlangt. Jeder Versuch den Hochton weiter zu zähmen, resultiert in einem Verlust von Auflösung. Hier vollführt jeder Hersteller wahrscheinlich auch bei bisher genutzten Treibern einen individuellen Balanceakt. Ich achte sicherheitshalber penibel auf den Abhörpegel und die Rückmeldung meiner Ohren. Die Faszination für diese Abstimmung hält über Wochen an und ich kann ihr länger am Stück zuhören, als ich selbst zunächst vermutete. So habe ich Becken, Glöckchen, Triangeln und dergleichen vorher einfach noch nie gehört.

Das Tuningziel der Hochtonreduktion ist erfüllt. Ziel zwei ist das Erzielen von einer etwas größeren Bühnentiefe und Instrumentenseparation. Dies geht Hand in Hand mit der geschmacklichen Anpassung des Mittenbereichs, denn dieser ist eigentlich schon sehr linear. Hierbei ist eine weitere Erkenntnis, dass gemeinhin als audiophil geltende Aufnahmen nicht uneingeschränkt für ein Tuning geeignet sind. Ironischerweise stelle ich fest, dass sie aufgrund ihrer besonders gewissenhaften Produktion oft sogar weniger anspruchsvoll sind als durchschnittliches Material. Sie umgehen Problembereiche im Frequenzverlauf von vornherein und so fallen diese auch im Frequenzverlauf der Treiber weniger auf. Als wunderbarer Tuning-Track kristallisiert sich Rammsteins „Zeit“ vom gleichnamigen aktuellen Album heraus. Komprimiert bis ans Limit, zeigt er mir im Abschnitt ab 2:30 besonders schnell auf, wo ich mir Veränderungen wünsche. Mit einigen Glockenfiltern mit verschieden Bandbreiten gelingt es mir, sowohl Till Lindemanns Stimme etwas weiter aus meinem Kopf heraus zu rücken, als auch mehr Platz im Stereopanorama für die verschiedenen Instrumente zu schaffen. Zwischen Stimme und Gitarren entsteht regelrecht Raum und Weite, die Gitarren treten allerdings auch etwas hinter den Gesang zurück. Die extrem komprimierte Stimme weist sämtliche unschön auffallenden Artikulationslaute in explosiver Manier auf. Ähnlich wie im Hochton resultieren Besänftigungsversuche in Auflösungsverlust. Im Bereich etwa zwischen 2 und 6 Kilohertz sind teilweise Absenkungen von lediglich einem halben Dezibel hörbar. Sogar bei solch geringer Absenkung sind verschiedene Bandbreiten der Filter hörbar. Keine Aufnahme birgt mehr ein Geheimnis. Jede noch so kleine Übersteuerung, wenn Sänger ihren Kopf bei der Aufnahme bewegt haben, digitale Klicks, alles wird in einer bisher nicht gekannten Deutlichkeit offengelegt.

Der Bassbereich schlussendlich spielt, wie erwähnt, sehr tief, jedoch im Verhältnis zum oberen Mittel- und Hochton mit eher geringem Pegel. Ich habe nicht das Bedürfnis, dies zu ändern. Lediglich nutze ich eine Absenkung bei 80 Hertz, um den Bass noch etwas trockener zu gestalten und eine Anhebung bei 25 Hertz für eine minimale Kompensation der verlorenen Fülle. Insgesamt, und dies war ja bereits auf der CanJam mein Eindruck, erinnert der Charakter des Montara-Prototyps sehr an den Etymotic ER4SE. Auch er ist ein Single-Driver IEM, allerdings auf vollkommen anderer Treibertechnologie basierend, mit einer für meinen Geschmack bisher unerreichten Natürlichkeit. Nicht nur offenbaren die Mitten wunderbar viele Stimmdetails, sondern auch die Anbindung des zurückhaltenden Bassbereichs ist unvergleichlich geschmeidig. Bereits das XR-Modell mit leicht erhöhtem Bass-Pegel wirft die Balance des ER4SR aus der Bahn. Liebhaber des ER4SR werden genau wissen, wovon ich rede. Diese Fähigkeiten teilen der Etymotic und der Montara Prototyp. Lediglich habe ich beim Montara noch mehr das Gefühl, nach Hause zu kommen. Alles scheint noch richtiger, noch echter und noch lebendiger. Die Wahrnehmung der verschiedenen Frequenzbereiche erfolgt auf eine schwer zu beschreibende Art gleichzeitiger als gewohnt. Durch diese Gleichzeitigkeit passiert es, dass Frequenzbereiche mir trotz ihrer Anwesenheit weniger aktiv auffallen. So frage ich mich zwischendurch, ob mein Tuning nicht doch etwas mehr Bass vertragen könnte. Höre ich dann aber beispielsweise „bury a friend“ von Billie Eilishs When We All Fall Asleep, Where Do We Go? offenbart sich ein Bassfundament, das sich gewaschen hat. Bis in die tiefsten Lagen agiert der Treiber hochimpulsiv und präzise.


Im zweiten Satz von Antonín Dvořáks 9. Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ – der Name passt doch auch gut zu diesem Text – ist in der Live-Einspielung der Londoner Symphoniker und Colin Davis von 1999 des LSO Live Labels immer wieder der knarzende Bühnenboden zu hören. Auch die ER4SR geben dieses Detail preis, nur bleibt das Bewusstsein, dass es sich lediglich um eine Reproduktion handelt. Die Montaras schaffen es, mein Gehirn zu überlisten. Ich nehme das Knarzen als real wahr. Gleiches gilt natürlich auch für die Musiker und ihre Instrumente. Das Gefühl wirklich vor Ort zu sein, ist größer als ich es bisher kannte. Um es einmal festzuhalten: Einen passiv und analog entzerrten Treiber mit einem passiv und digital entzerrten Treiber zu vergleichen ist nicht ganz fair. Davor, dass die Ingenieure von Etymotic einen mechanisch und passiv entzerrten Treiber überhaupt derart gut klingen lassen können, ziehe ich meinen Hut. Leider teilen sich Ety und Montara eine Schwäche. Ihre Bühnentiefe ist vergleichsweise nicht die Größte. Montara hat zwar überdeutlich die Nase vorn, dafür vermag der Etymotic Instrumente noch etwas besser zu trennen und zu umreißen. Speziell in dieser Hinsicht merkt man, dass das Tuning mehr auf den Punkt gebracht wurde. Die Tuning-Expertise von Etymotics Ingenieuren entwickelte sich aber auch über Jahrzehnte. Dass eine neue Technologie, die gerade erst den Markt erschließt, und mir als Prototyp zur Verfügung gestellt wurde, sich mit Etabliertem messen kann, spricht Bände. Treiber und IEM-Produktentwicklung werden sich sicherlich zukünftig gegenseitig befruchten. Auch ich kann mit etwas mehr Übung und vielen Stunden des Probierens die Equalizer-Abstimmung des Montara bestimmt noch weiter auf den Punkt bringen. Andere Möglichkeiten wie Kompressoren, Delays oder Allpässe habe ich ja noch nicht einmal angewendet. Die Möglichkeiten sind nahezu unendlich. Der Treiber steckt extreme Korrekturen mit überraschender Leichtigkeit weg. Der Pro-Q 3 bietet beispielsweise einen Tilt-Filter, mit dem sich das Verhältnis von tiefen und hohen Frequenzen extrem schnell verändern lässt. Sechs Dezibel weniger Hochton und sechs Dezibel mehr Bassbereich: Kein Problem. Sogar einen Bass Boost von zwölf Dezibel lässt Montara über sich ergehen. Wirklich schade ist das hohe Grundrauschen des Amps der Montaras. Es maskiert, wenn man leiser hört, speziell in leisen Orchesterpassagen doch recht schnell das Nutzsignal. Diese Kritik habe ich bereits auf der CanJam geäußert und ich weiß, dass sie bei xMEMS ernst genommen wird.

Der Montara Plus ist in seiner grundlegenden Natur wohl der zugänglichere und massentauglichere Treiber. Seine Stärke liegt im Bassbereich. Tatsächlich scheint das größere bewegte Luftvolumen Wirkung zu zeigen. Nicht nur liefert er hier mehr Pegel, den man durchaus auch dem normalen Montara mit extremen Filtern antrainieren könnte, sondern schafft es, den Frequenzbereich besser durchzuzeichnen. Generell zeichnet er Instrumente etwas kräftiger. Er lädt geradezu dazu ein, mit einem Boost noch etwas dicker aufzutragen. Es herrscht definitiv auch ein höherer Spaßfaktor vor. Die Tiefmitten sind ebenfalls prominenter, lösen bei mir aber auch den Wunsch aus, ein wenig auszusortieren. Der Hochton ist weniger schneidend als beim normalen Montara, dafür aber auch weniger hochauflösend. Trotzdem muss er noch per EQ gezähmt werden. Für einen Single-Driver ist die Hochtonfähigkeit bei gleichzeitiger Anwesenheit von Tiefbass nochmals hervorzuheben. Diesen Umstand vergisst man einfach zu leicht, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat. Alleine damit steckt auch der Montara Plus viele konventionelle Treiber in die Tasche. Auf eine Art klingt der Montara Plus bereits ohne digitale Filter ausgewogener und wird für konventionelle Tunings hervorragend geeignet sein. Die frappierende Authentizität des Montara habe ich mit dem Montara Plus trotzdem nicht erreicht. Ich habe den Montara Plus dementsprechend von Anfang an weniger gehört und auch mit der Erstellung meines Geschmacksfilters weniger Zeit verbracht und mich in dieser Hinsicht gleichermaßen ungleich schwerer als beim Montara getan. Mein Filter sieht dementsprechend wüst aus, und bis zum Abschluss dieses Artikels habe ich das Optimum nicht erreicht. Klangtuning ist eben alles andere als trivial. Diese Erfahrung lässt mich die Entwicklungs- und Forschungsprozesse von Herstellern noch mehr schätzen. Außerdem kann ich viele Design-Entscheidungen viel besser nachvollziehen. Beispielsweise einen präsenten und detailreichen Hochton abzuliefern, ohne dass er zu scharf oder störend wird, ist gar nicht leicht. Das Klangbild der Tiefmitten gleichzeitig druckvoll zu gestalten, ohne dass es unpräzise und verschmiert wirkt, ist ebenfalls anspruchsvoll, vom Bassbereich ganz zu schweigen. Messungen der Frequenzkurve können bei der Abstimmung natürlich helfen, sind aber auch nicht das ganze Geheimnis und ersetzen schon gar keine Erfahrung. Ich bin wahnsinnig gespannt, wie erste Produkte mit xMEMS-Treibern klingen werden, und vor allem, in welchen Preisbereichen diese liegen werden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie im normalen Marktsegment sehr schnell Einzug halten werden. Im High-End-Bereich wird es wahrscheinlich länger dauern, schließlich sind die Ansprüche der Nutzer hier ungleich höher, und die Hersteller werden sich mehr Zeit nehmen, um den Treibern das Optimum zu entlocken. Ich für meinen Teil hoffe, dass dies möglichst bald der Fall sein wird. Allein auf die Hörerlebnisse, die ich mit den Prototypen gemacht habe, möchte ich definitiv nicht mehr verzichten und warte jede weitere Entwicklung mit Spannung ab.

Gehört mit
Router & Zubehör Fritzbox 7530, Netgear ProSAFE GS108 (mit Keces P3)
Server Melco N1 AH 60/2
Reclocker Mutec MC-3+ USB
DAC Mytek Brooklyn DAC+ (mit Ferrum HYPSOS), Soncoz SGD1 (mit iFi iDefender+)
Pre-Amp Violectric Pre V630
Endstufe NAD C 275BEE, IOTAVX PA3
Lautsprecher Magnat Quantum 807, Neumann KH 120 A
DAP FiiO M11 Plus ESS (FiiO Music App, Qobuz), HiBy R6 (HiBy Music App, Qobuz)
Smartphone Motorola One Zoom, 128GB, 4GB RAM, Android 10 (BubbleUPnP, Qobuz, HiBy Musikapp)
Kopfhörerverstärker iFi Micro iDSD Black Label
Kopfhörer Sennheiser HD 800 s, Beyerdynamic dt 880 black edition
In-Ears & Zubehör Vision Ears VE7, Vision Ears VE6 X2, Etymotic ER4SR, iFi IE-Match
Kabel Audioquest, Chord Company, Belden, Boaacoustic, Furutech, Glockenklang/Eupen, Sommer

Hersteller
xMEMS
Anschrift 3255 Kifer Road
Santa Clara, CA 95051
Web xmems.com

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