Dies ist nicht mein erster Besuch in Nakskov. Im Juni 1999, als viele um den Fortbestand der Analog-Kultur bangten, verbreiteten die Dänen Optimismus: „Wir wollen die letzten sein, die hochwertige Tonabnehmer fertigen.“ Jetzt redet niemand mehr vom Ende der Schallplatte, Analoges boomt, und Ortofon investiert kräftig in Forschung und Fertigung.
Schon seit der letzten High End war ein Test von Ortofons neuem Topmodell, dem MC Diamond, geplant. Da es sich bei der Beschäftigung mit dem Verismo als sehr hilfreich erwiesen hatte, zuvor von dessen Entwickler Leif Johannsen konstruktive Details zu erfahren, wollte ich ihn auch zum MC Diamond befragen, wobei der Ort des Treffens erst einmal zweitrangig war. Leif Johannsen schlug schließlich vor, dass ich ihn zusammen mit Markolf Heimann, dem Geschäftsführer von Ortofons Deutschland-Vertrieb ATR - Audio Trade, am Firmensitz in Nakskov treffe und anschließend auch das neue Entwicklungszentrum in Næstved besuche. Im November letzten Jahres war es dann soweit.
Aus dem informativen Treffen war also ein Firmenbesuch geworden. Und bei einem solchen sollte auch ein wenig Firmengeschichte nicht fehlen. Da die Artikel über meine früheren Besuche in Nakskov in den Jahren 1999 und 2009 – also noch lange vor der Gründung von hifistatement.net – online nicht verfüg- und damit nicht verlinkbar sind, greife ich auszugsweise auf diese zurück, um kurz die Historie von den Anfängen bis zur Entstehung des SPUs zu beleuchten. Wie es danach weiterging, dürfte jedem ernsthaften Hifi-Fan bekannt sein.
Am 9. Oktober 1918 gründeten Axel Peterson und Arnold Paulsen die „Electrical Phono Film A/S“ mit dem Ziel, ein Tonfilm-System zu entwickeln. 1923 zeigten sie dann in einem Kopenhagener Kino den ersten im Studio aufgenommenen Streifen. Nur fünf Monate später gelangen dann auch Tonfilmaufzeichnungen im Freien. Ein weiterer Meilenstein in der Firmenhistorie war die Fertigung der ersten 16-Millimeter-Tonfilmkamera für Minerva Film. In der Folgezeit entwickelte man Mikrofone, Dynamikkompressoren, Oszillographen und optische Instrumente. 1946, kurz vor der Namensänderung in „Fonofilm Industri A/S“, kam ein Monoschneidekopf auf den Markt, der die obere Grenzfrequenz für die Aufzeichnung von fünf auf damals sensationelle 14 Kilohertz verschob. Allerdings gab es derzeit keinen Tonabnehmer, der einen so ausgedehnten Hochtonbereich wiedergeben konnte. Nach zwei Jahren konnte man ein Moving-Coil-Sytem vorstellen, das alle in die Rille gebannten Informationen wieder zu Gehör brachte.
1951 tauchte dann erstmals in den Annalen das an griechische Begriffe angelehnte Kunstwort Ortofon – was sich mit „der richtige Klang“ übersetzen läßt – auf, und zwar als Name für eine Handelsgesellschaft unter dem Dach der Fonofilm. Zu Beginn der Stereoära schmückte dann der heute wohlbekannte Markenname die ersten für das neue Aufzeichnungsverfahren benötigten Scheideköpfe. Und es dauerte wieder 24 Monate bis das Prinzip auch in einem Tonabnehmer seinen Niederschlag fand: 1959 feierte das SPU Premiere. Seine robuste Konstruktion – und natürlich seine klanglichen Meriten – machten es zum bevorzugten Arbeitsgerät in Rundfunkstationen und Plattenfirmen in Europa. Auch die EMT-Tondose stammt übrigens direkt von dieser dänischen Legende ab.
Doch zurück in die Gegenwart: Gleich am Eingang des Firmengebäudes nimmt uns Leif Johannsen in Empfang, kümmert sich um die Besucher-Ausweise, führt uns in einen hellen, freundlichen Besprechungsraum und gibt uns erste Informationen über die aktuellen Veränderungen. Kurz nach seinem Eintritt in die Firma vor mehr als einem Dutzend Jahren war er nicht nur Entwickler, sondern hat nach eigenen Worten fast alles gemacht, musste sich also auch um das Funktionieren der Produktion kümmern. Jetzt kann er sich wieder vermehrt der Entwicklung und der Außendarstellung widmen. Oder wie er es formuliert: „Ich habe meine Freiheit zurück.“ Und das äußert sich auch in seinem Titel: Zuvor lautete der „Chief Innovation Officer“, heute ist es „Chief Officer Acoustic & Research“.
Grund dafür ist, dass Ortofon nun nicht nur drei Ingenieure in Nakskov beschäftigt, sondern seit einiger Zeit auch das bereits erwähnte Entwicklungszentrum in Næstved betreibt, in dem sechs weitere Ingenieure tätig sind. Der Ort etwa 90 Kilometer südwestlich von Kopenhagen wurde gewählt, da es ungemein schwierig ist, hochqualifizierte Fachkräfte zu einem Umzug ins eher ländliche Nakskov auf Lolland zu bewegen. In der Metropole hingegen sind die Mieten hoch, und für im Umland lebende Mitarbeiter wäre es enorm zeitaufwändig, durch die täglichen Staus ins Zentrum und wieder heraus zu gelangen. Eine Fahrt morgens aus Kopenhagen oder der näheren Umgebung nach Næstved hingegen ist antizyklisch und daher so gut wie ohne Staus möglich. Aber noch sind wir nicht in Næstved.
In Nakskov treffen wir den Produktionsleiter Jonas Ourø, der den Firmenrundgang mit uns in der Gummiproduktion beginnt, nachdem wir uns wie Spurensicherer mit Hauben, Mänteln und Überschuhen ausgestattet haben. Mit entsprechenden Bildern verschone ich Sie lieber. Meines Wissens nach ist Ortofon der einzige Tonabnehmerhersteller, der seine Dämpfungsgummis – die im Bericht über das MC Diamond noch eine wichtige Rolle spielen werden – selbst produziert und, mindesten genauso wichtig, ihre Eigenschaften auch messtechnisch zu bewerten vermag. Wie man sich vorstellen kann, wäre die Investition in Apparaturen zur Produktion und Evaluierung der Gummis selbst bei den großen Stückzahlen, in denen vor allem die MM- und DJ-Tonabnehmer gefertigt werden, nicht unbedingt sinnvoll.
Aber neben dem Bau von Tonabnehmersystemen sind die Dänen noch in einem weiteren Geschäftszweig erfolgreich: Ortofon Microtech produziert hochpräzise Teile aus technischem Gummi und thermoplastischen Elastomeren für die Medizintechnik und für Hörgerätehersteller. Es ist den selbst produzierten Dämpfungsgummis geschuldet, dass Ortofon-Systeme – wie etwa mein SPU Silber und mein SPU Royal – bei nur sporadischem Gebrauch auch nach mehr als einem Dutzend Jahren ihre Spezifikationen beibehalten. Dass das nicht selbstverständlich ist, mussten EMT-Besitzer zumindest früher leidvoll erfahren: Ob benutzt oder originalverpackt, nach etwa fünf Jahren mussten die Dämpfer ausgetauscht werden.
Von der Gummi-Abteilung geht’s ebenerdig weiter zur Fertigung von MM-Tonabnehmern. Hier gab es auch früher schon Automaten, die die Spulen aus filigranem Draht wickelten. Aber der Rest war reine Handarbeit. Nun findet man hier eine recht große, rundum teilverglaste Maschine, die Nadeln auf Nadelträger montiert, letztere mit dem Dämpfungsgummi und anschließend mit einem Magneten versieht und schließlich mit einem Spritzgussteil verbindet: Fertig ist der Nadel-Einschub. Ich konnte eine der speziell in der Schweiz für Ortofon entwickelten und produzierten, kostspieligen Maschinen im Betrieb sehen. Wie Leif Johannsen verriet, sind aber weitere bereits in Auftrag gegeben worden. Daneben gibt es weiterhin eine Reihe von Arbeitsplätzen, an den durchweg weibliche Mitarbeiter MM-Systeme von Hand fertigen.
Wir verlassen das zweigeschossige Hauptgebäude und wenden uns einem Flachbau zu, der noch nicht lange von Ortofon genutzt wird. Hier finden wir im Entstehen begriffene Büros und eine weitere große Produktionshalle, in der mehrere Spritzgussmaschinen für TPE (Thermo Plastic Elastomer) und harten Kunststoff sowie eine Metallbearbeitungswerkstatt untergebracht sind. In der zweiten Etage des Hauptgebäudes werden wie zuvor Moving-Coil-Tonabnehmer hergestellt. Hier gibt es keine Spulenwickelmaschinen, hier wird der Kupfer- oder der silberbeschichtete Kupferdraht von Hand auf quadratische oder kreuzförmige Träger gewickelt. Dort treffen wir auch Tina Meincke Jacobsen, die die meisten von Ortofon High-End-Tonabnehmern gefertigt hat.
An der selben Werkbank sitzt Vaida Raciene, die gerade damit beschäftigt ist, ein MC Diamond zu bauen. Obwohl der Diamant-Nadelträger, die Spulen und die Dämpfungsgummis ungemein filigran sind, führt sie die meisten Arbeitsschritte mit bloßen Händen aus. Das wäre wohl kein Job für mich. Lediglich wenn es darum geht, den schon mit dem hinteren Joch, in dessen Bohrung der Joke-Zylinder aus einer Kobalt-Eisen-Legierung sitzt, verbundenen Magneten mit dem vorderen Joch in Kontakt zu bringen, bedient sich Vaida Raciene eines Hilfsmittels: Der Magnet samt hinterem Joch und das vordere Joch werden in eine Vorrichtung gelegt, in der sie mittels einer Stellschraube aufeinander zubewegt werden. Das ist notwendig, damit das vordere Joch nicht von der Kraft der starken Magneten plötzlich angezogen wird und dabei die Nadel, den Nadelträger, die Spulen oder die Dämpfung beschädigt, die bereits mit dem Spanndraht im Joch-Zylinder befestigt sind. In der oberen Etage befinden sich auch die Messplätze, an denen alle MC-Systeme mit einer speziell für Ortofon nach den Anforderungen von Leif Johannsen produzierten Test-LP überprüft werden.
Dann machen wir uns auf den Weg nach Næstved. Das Entwicklungszentrum befindet sich in einer Büroetage eines Gebäudes im Zentrum. Hier gibt es eine Reihe von Computer-Arbeitsplätzen, ein Labor mit verschiedenen Plattenspielern, einem 3D-Drucker, und Metallbearbeitungsmaschinen, Besprechungsräume, ein Fotostudio und einen akustisch optimierten Hörraum. Dort bewerten Leif Johannsen und seine Kollegen, die dem sogenannten „Hör-Panel“ angehören, neue Entwicklungen. Die Kette spielt, wie nicht anders zu erwarten, auf einem sehr hohen Niveau, aufgrund der sehr trockenen Akustik doch ein klein wenig gebremst. Aber für längeren Hörgenuss bleibt sowieso keine Zeit, denn Leif Johannsen erläuterte noch ausführlich die Technik des MC Diamond. Auf dessen klangliche Leistungen bin ich mindesten ebenso gespannt, wie auf das, was Ortofon mit seinen immensen Zukunftsinvestitionen vor allem in Sache Men-Power in den nächsten Jahren präsentieren wird.
Hersteller
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