Quantcast
Channel: HIFISTATEMENT | netmagazine - Suche
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2387

Radius W n°4

$
0
0

Un-glaub-lich. Kaum fünf Gramm Kopfhörer, gut verpackt in einem dunkelroten Kunststoffgehäuse, liegen vor mir. Ein paar aufgebrachte Gold-Applikationen lassen die bestens verarbeitete Kapsel, ein wenig „Oldschool“ ausschauen. Diese Winzigkeit soll einen koaxialen Zwei-Wege-Lautsprecher Platz bieten?

Ich bewundere schon jetzt, ohne das klangliche Ergebnis zu kennen, die Ingenieurskunst die zur Entstehung des radius W n°4 geführt hat. Als wäre dies nicht genug, werden hier zwei grundverschiedene Schallerzeugungprinizpien kombiniert. Für die tiefen und mittleren Frequenzen kommt ein klassischer Treiber mit einer fragilen Schwingspule zum Einsatz, den Hochton übernimmt, mittig über der Membrane platziert ein Piezo Element…

…Piezo-Hochtöner, war da nicht was? Waren die kleinen Hörner nicht die Hochton-Klangerzeuger der Vorhölle? Ersonnen von skrupellosen Hörgeräteakustikern im letzten Jahrhundert, um rebellische Jugendliche auf Rockkonzerten mittels der Beschallungstechnik zu peinigen? Bevor eine neue Verschwörungstheorie die Welt betritt, nehmen wir besser ein Techniklexikon zur Hand.

Anders als bei einem klassischen Wandler ist bei einem Piezo- besser Ferroelektrischen- Lautsprecher nicht das Zusammenspiel von Spule und Magnet als Antrieb nötig, sondern ein Piezokristall verformt sich ohne weitere Bauteile harmonisch, sobald eine elektrische Spannung anliegt. Sofern keine hohen Pegel erforderlich sind, wie im Falle des vorliegenden In-Ear, entsteht eine superleichte direkt abstrahlende Schallquelle. Mehr akustische Leistung verlangt nach einer angeflanschten Membrane und einem Hornvorsatz. Neben dem sehr übersichtlichen Aufbau des Piezo steht der scheinbar problemlose Einsatz ohne vorgeschaltet Frequenzweiche auf der Habenseite. Obwohl für den antreibenden Verstärker eine ziemlich unbequeme elektrische Last, kann der Piezo ungefilterte größere Leistungen ganz gut vertragen. Hier liegt dann auch der „Hase im Pfeffer“. Im Mitteltonbereich produziert der gemeine Kristallantrieb derbe Resonanzen. Wird das Piezoelement in diesem Spektrum nicht ausgebremst, werden ungeahnte klangliche Niederungen erreicht – siehe oben. Wenige Millimeter von einem sensiblen Hörnerv entfernt, soll diese Art der Hochton-Erzeugung nun also zweckvoll eingesetzt werden? Jawohl, denn es haben sich nicht finstere Gesellen mit unlauteren Absichten der Technologie angenommen, sondern die Macher einer japanische Hi-Tech-Schmiede, deren Gründung mit einem nicht ganz unbekannten amerikanischen Technikpropheten namens Steve Jobs eng verbunden ist.

Denn im sonnigen Kalifornien sollte sich im Jahr 1986 in den Räumen von Apple Computers die Firma radius Inc. gründen. Und es wurde nicht nur das Gebäude geteilt, sondern auch das Firmencredo: „Produkte jenseits aller Grenzen entwickeln“. Ein Unternehmensleitbild das bis zum heutigen Tage für radius Bestand haben wird. In den Folgejahren expandierte der Heimcomputer-Markt vehement. Stetige Anpassungen an die Erfordernisse des Marktumfeldes prägten die Jahre und so änderte sich die Heimat wie auch die Geschäftsfelder von radius. 1999 wurde die zuvor in Japan gegründete Filiale Firmenhauptsitz sowie Namensrechteinhaber. Das amerikanische Geburtshaus sollte fortan unter der Bezeichnung Digital Origin Inc. firmieren. Stand zum Beginn das Bild im Mittelpunkt aller Aktivitäten, rückte nun im Land der aufgehenden Sonne der gute Ton in den Fokus.


Heute bietet radius eine Palette von In-Ear-Hörern an, die audiophilen Genuss an allen tragbaren wie stationären Kopfhörerausgängen bieten sollen. Gleichwertige Headamps mit integrierten D/A- Wandlern ergänzen die Produktpalette. Natürlich dürfen die Quellen nach wie vor gerne aus Cupertino kommen, bevorzugt werden sie nicht. Vervollständigt wird das Angebot mit der App „NePlayer“: Die sowohl für die Android- also auch für die Mac- Plattform entwickelte Software erlaubt es, Musikdateien im Hi-Res-Format jenseits von iTunes & Co. auf dem Smartphone abzuspielen.

Mit dem vorliegenden In-Ear-Hörer W n°4 haben die netten Menschen von audioNEXT ein Kleinod aus dem Portfolio gewählt. Als Topmodell der Range trägt es das gelb/schwarze Hi-Res-Siegel am Revers und das Logo gibt dann auch den Weg vor: Artgerecht soll der mobile Musikliebhaber hochaufgelöste Musik-Dateien mit all ihren Finessen genießen können. Taktgeber für dieses Ziel ist natürlich der aufwendige Koaxial-Treiber, wobei nicht nur dessen Hochtonerzeugung Beachtung verdient. Denn mithilfe einer ultraharten, und ziemlich kostspieligen Berylliumbeschichtung wird die hinterlüftete Membrane des dynamischen Antriebs ein federleichter präziser Mitspieler. Selbstredend halten die vergoldeten Steck- sowie Kabelverbindungen das hohe Niveau. Führen die außergewöhnlichen Zutaten aber auch zu einem außergewöhnlichen Klangerlebnis?

Eine anstehende längere Bahnfahrt war genau der richtige Rahmen für den ausführlichen Hörtest. Im Handgepäck das schon unvermeidliche Smartphone und ein Medienplayer, prall gefüllt mit FLACs, deren Datenvolumina mindestens auf CD-Niveau liegen. In den Tagen zuvor besorgte der Haussender WDR das gründliche Einspielen der vier Treiber. Das Anpassen der richtigen Ohradapter – vier unterschiedlich große Paare liegen in der schicken Verpackung – war hingegen schneller erledigt.


Angekommen an unserem Ziel, berichtet mir meine Frau amüsiert von den Ausführungen eines älteren Herren, der sich als Angehöriger der „Früher-war-alles-besser-Fraktion“ wortreich outete. Auch unterhielten wohl einige Kinder im Vorschulalter die Waggoninsassen. Davon habe ich nichts mitbekommen! Schon mit den ersten Takten bin ich für die nachfolgenden Stunden tief in das radius-Klang-Universum eingesunken. Ein Kosmos, in dem der getriebenen Entwicklungsaufwand sich nicht als bloße technoide Leistungsschau entlarvt, sondern der ein überaus stimmiges musikalisches Erlebnis beinhaltet. Ganz gleich, welcher Musikstil die Elektronen in der Zuleitung anregen, im Hörkanal entstehen Schallwellen, die ein ganzheitliches Bild der Musik offerieren. Die frappierende Präzision in den oberen Lagen, die scheinbar mühelos jedes Detail zeichnet, wahrt die Balance zur klanglichen Härte. Die Mitten können präsent und kraftvoll tönen und mit dem nächsten Takt warm und zart. Gleichsam schnell wie trocken trifft der Bass das Trommelfell, das Andicken der tiefen Töne wird Mitbewerbern überlassen. Aber vorsichtig ausgedrückt ist so eine Differenzierung des Frequenzbandes in drei Bereiche etwas grobschlächtig, zumal ohnehin alles bruchlos miteinander funktionieren muss. Und das ist die wahre Meisterschaft des radius W n°4.

Ein paar Kostproben aus der Hörsession: Drei Virtuosen ihres Faches spielen auf dem Album Day Trip. Ausnahmegittarist Pat Metheny gibt den Bandleader, Christian McBride am Bass und Antonio Sanchez am Schlagzeug sind die kongenialen Partner. Gerade Letztgenanntem bei seiner Kunst zu lauschen, ist mit dem W n°4 die wahre Wonne. Sein Spiel bei dem Stück „Tromso“ mit und auf den Becken lässt sich auch mit einem iPhone als Zuspieler bis ins allerletzte Detail verfolgen. Meist wird das Blech mit schnellen Schlägen mehr gestreichelt als geschlagen – jeder Anschlag ist artikuliert, die feinen Schwingungen des Abklingens erreichen unmittelbar die Hörnerven, dazu visualisieren sich im Kopf die Dimensionen der unterschiedlichen Becken. Einen Wimpernschlag später explodiert das Metall klar nachvollziehbar unter dem härteren Anschlag. Ebenso eindringlich die angerissenen Saiten von Metheny und der Groove von McBride am Akustikbass. Auf dem ersten Solo-Album von Sting The Dream Of The Blue Turtles findet sich der Song „Consider me gone“. 25 Jahre später interpretiert der Oberpolizist mit seiner angenehm gereiften Stimme auf der Zusammenstellung Conversations with Christian seinen Klassiker. Exakt positioniert zwischen den Lautsprechern, Verzeihung zwischen den Ohren, flankiert von einer Akustikgitarre und dem Bass von McBride trägt er seinen Klassiker mit seiner sonoren warmen Stimme vor. Sein jugendliches Kieksen kommt heute mit mehr britischer Noblesse rüber. Ebenso körperhaft wie der Gesang die Akustikgitarre auf der linken Seite. Tief schwingende Saiten und ein großer hölzerner Resonanzraum auf der rechten Seite, wobei der gezupfte Bass bei aller Fülle immer drahtig bleibt.

Es galt, die Opfer der Julirevolution von 1830 in Frankreich zu ehren und Hector Berlioz sollte dazu ein Requiem erschaffen. Und obwohl es sich um eine Totenmesse handelte, schwebte dem Komponisten nichts geringes vor, als das größte je geschriebene Orchesterwerk zu komponieren. Allein sechzehn Pauken, zwei große Trommeln sowie zehn Paar Becken empfahl Berlioz für seine Grande Messe des Morts, ergänzt um den Hinweis, dass die Zahlenangaben relativ seien und gerne auch verdoppelt oder verdreifacht werden könnten. Der britische Dirigent Paul McCreesh und das polnische Ensemble Wroclaw stellten sich im Jahr 2010 der Aufgabe, das imposante Werk in der vorgesehenen Orchestergröße einzuspielen. Hunderte von Musikern und Sängern wurden in der Maria-Magdalena-Kirche in Breslau zu einem gigantischen Klangkörper vereint.


Es erstaunt, wie der radius W n°4 die Massen bändigt. Die Chöre – links die Damen, rechts die Herren – platzieren sich klar getrennt von den Instrumentalmusikern, die Solostimmen versinken nicht im Grundrauschen der Kirchenraumakustik. Einzig, wenn alle Anwesenden der Partitur mit Inbrunst folgen und die Felle von zig Pauken grollen, muss der In-Ear den zum Vergleich herangezogenen sehr viel größeren, On-Ear-Hörer ziehen lassen. Geschenkt, alles andere hätte auch physikalische Grundgesetze in Frage gestellt.

Zum guten Schluss noch die „kalten“ Fakten rund um den W n°4: Erwartungsgemäß gibt es keine Telefoniefunktion, radius fühlt sich eben einzig dem guten Ton verpflichtet. Aufgrund des sehr ordentlichen Wirkungsgrads mussten weder das iPhone noch der Fiio für eine gehobene Lautstärke kämpfen. Dennoch war die größere Autorität des heimischen Kopfhörerverstärkers nach dem Umstecken unverkennbar. Der Tragekomfort ist gut, wenn auch in meiner Pforte des Gehörganges nicht überragend. Bei reibender Kleidung führt die klassische Führung mit dem nach unten ablaufenden Verbindungsdraht zu Kabelgeräuschen – ist das tragisch? Nein! Bequem zurückgelehnt im Flugzeug-, Bahn- oder heimischen Sessel gilt es den vollen Musikgenuss zu genießen – Laufen oder Radfahren lenken davon doch nur ab.

STATEMENT

Stilvolle Garderoberatgeber im Netz vergeben gerne für einzelne Kleidungsstücke das Prädikat „must have“. Sollte unserer Magazin irgendwann diese imperative Empfehlung einführen, hätte ich einen erstklassigen Anwärter für die Rubrik „mobiles High End“. Extrem fein aufgefächert der Hochton, prägnant in den Mitten, substanziell im Bass spielt der W n°4. Die Akkuratesse der Wiedergabe verhilft darüberhinaus zu einer realistischen Raumdarstellung. Aber es ist nicht die positive Bilanz der Einzeldiziplinen die den radius W n°4 auszeichnet, sondern die Stimmigkeit des Gesamterlebnisses. Unbedingt ein gut eingespieltes Exemplar anhören!
Gehört mit
Mobile Quellen iPhone® mit nePlayer, FIIO X3
Computer Audio NAS-Laufwerk Qnap HS 210, Minim Server, Router Speedport W 724 V
Streaming Server Minimserver
Steuerung Lumin für Apple iPad, Linn Kazoo
Netzwerkspieler, Vorverstärker Linn Majik I DS
Kopfhörerverstärker Lake People G 100
Kopfhörer Sennheiser HD 800
Netzaufbereitung Furman Elite-16 Power Factor E i
Kabel Monster Cable LAN, Linn NF, Naim Audio Lautsprecherkabel, Netzleiste Music Line
Möbel Phonosophie Tripod
Herstellerangaben
radius W n°4
Typ Audiophiler Zwei-Wege In-Ear Kopfhörer
Prinzip Dynamischer Treiber Durchmesser 13mm & ein koaxial angeordnetes 12mm großes Piezo-Element
Frequenzband Frequenzband
Empfindlichkeit 108dB +/- 3dB bei 1 mW
Belastbarkeit 20 mW
Anschlussstecker Verstärker Stereo-Klinke 3,5 mm vergoldet
Anschlussstecker Hörer MMCX-Steckverbinder vergoldet
Impedanz 32 Ohm
Gewicht ca. 18 Gramm inkl. Kabel
Kabel- / Länge Verbindungskabel ca. 120 cm
Lieferumfang Vier Paar Ohrstücke (XS, S, M, L) Transportbox, Bedienungsanleitung
Preis 500 Euro

Vertrieb
audioNEXT GmbH
Anschrift Isenbergstraße 20
45130 Essen
Telefon 0201 5073950
E-Mail info@audionext.de
Web www.audionext.de

Viewing all articles
Browse latest Browse all 2387