Falls Ihnen der Milo bekannt vorkommt, ist das kein Déjà-vu-Erlebnis: Im Bericht über die Messe in Warschau hatte ich Ihnen den originell gestalteten Kopfhörerverstärker und seinen Schöpfer Jeff Wells bereits vorgestellt. Das Testexemplar schickten nun die Kopfhörer- und Digital-Spezialisten von audioNEXT nach Gröbenzell.
Für das gelungene Design des Milo gibt es zwei Gründe. Zumindest auf den einen wäre ich ohne Jeff Wells Informationen per E-mail von allein wohl nicht gekommen, während der erste leicht nachvollziehbar ist: Die recht kleine Stellfläche bei beachtlicher Höhe ist dem Schreibtisch als möglichen Einsatzort geschuldet. Die Abkehr von der – möglichst 19-Zoll breiten – flachen Einheitskiste erfolgte überraschenderweise aber auch aus Kostengründen. Beim Milos ging es nämlich darum, möglichst viel des typischen, später näher zu beschreibenden Wells-Klang des in Kreisen von Kopfhörer-Fans in den USA sehr geschätzten „großen“, Headtrip getauften Verstärkers zum günstigeren Preis zu bieten. Jeff Wells legt Wert darauf, dass seine drei Endstufen, der Voll- und die nun insgesamt drei Kopfhörerverstärker ein und demselben Klangideal folgen. Auch wenn der Headtrip, wie sein Entwickler nicht ohne Stolz anmerkt, aufgrund seiner klanglichen Leistungen einen legendären Ruf genießt, bleibt er aufgrund seines Preises für viele unerschwinglich – schließlich kostet er mehr als das Vierfache des Milo. Also habe er die Kosten für einige Baugruppen wie das Gehäuse und die Kühlkörper, für Ausstattungsmerkmale, Herstellungszeit und Verpackung reduziert, ohne den Wells-Audio-Klang zu verwässern.
So werde im Milo eine kleinere und einfachere Version der Endstufenplatine verwendet, die im Headtrip, dem Enigma und den zweikanaligen Verstärkern zum Einsatz komme. Es habe fast neun Monate von der ersten Idee bis zu ihrer endgültigen Realisierung gedauert. Dafür sei es aber möglich gewesen, die Schaltung zu verkleinern, ohne auf SMD-Technologie zurückgreifen zu müssen. Dies sei ihm, sagt Jeff Wells, sehr wichtig gewesen, da er nicht glaube, dass man mit SMD-Komponenten beste Ergebnisse erzielen könne, denn die am besten klingenden Bauteile seien für ihn solche, die durch Löcher in der Platine montiert würden. Außerdem sei er der Meinung, dass Kreativität nicht mehr koste, als ein paar zusätzliche Gedanken, wie zum Beispiel den, dass jeder Kunde gern etwas Interessantes, Schönes und großartig Klingendes erwerben möchte. Und deswegen versuche er, Interessantes, Schönes und Erinnernswertes zu schaffen. Es gebe keinen Grund dafür, dass dies deshalb teurer sein müsse. Er denke, dass der Milos dafür ein gutes Beispiel sei, denn hier habe er bei Baugruppen und Gehäuse gespart und dennoch etwas entworfen, das anders und interessant ist und sich vom Meer der gleich aussehenden Kisten abhebt.
Den Transformator für den Milos bezieht Jeff Wells von einer amerikanischen Firma, ist aber dennoch davon überzeugt, dass dieser in China produziert wird. Er habe sich eine Reihe von Trafos von den üblichen Verdächtigen angehört, finde aber, dass sie gegenüber seiner Wahl unterlegen seien. Der Transformator des Milo sei sowohl zwischen den Windungen als auch außen komplett geschirmt, wodurch er deutlich leiser sei als die, die er zum Vergleich ausprobiert habe. Im Milo verwende er in einer nicht symmetrischen Push-Pull-Schaltung bi-polare Transistoren. Die Verkabelung werde speziell für die Wells-Audio-Geräte gefertigt und ebenso wie die Platinen und die Buchsen vor dem Zusammenbau kryogen behandelt. Das Potentiometer des Basismodells ist ein Tocos Black. Es sei aufgrund seiner überlegenen klanglichen Eigenschaften im seinem Preissegment und trotz der allgemein bekannten Kanalungleichheiten am Anfang des Regelbereiches ausgewählt worden. Aber es gebe gegen Aufpreis ja auch einen Zwölf-Dezibel-Abschwächer, der es bei lauten Quellen erlaube, den Regelbereich des Potis mit nur geringer Kanalabweichung zu nutzen. Auf Wunsch sei auch ein Khozmo-Pegelschalter statt des Potentiometers zu haben. Gegen einen noch etwas höheren Aufpreis werde dieser dann sogar mit Vishay-Widerständen bestückt. Da die Geräte in Handarbeit gefertigt würden, können man die meisten Kundenwünsche realisieren. So sei der Milos etwa neben den serienmäßigen Cinch- auch mit XLR-Eingängen lieferbar. Der Lautstärkeschalter dürfte klanglich eine lohnende Investition sein, geht es beim Milo doch direkt – also ohne einen Eingangsbuffer – von den Cinch-Eingangsbuchsen zum Potentiometer.
Aber auch ohne Schalter und vielleicht sogar Vishays im Signalweg verhilft der Milo dem Audeze EL-8 Titanium (hier ein Link zu http://www.hifistatement.net/tests/item/1817-audeze-el-8-titanium) zu einem ausgesprochen angenehmen, minimal warmen, dynamisch und rhythmisch akzentuierten Klangbild – frei von Härte oder Rauigkeit. Bei dieser tonalen Abstimmung hört man gern schon mal zwei, drei Dezibel lauter als etwa über den Bryston BHA-1, den ich wegen seiner Neutralität schätze. Anders als dieses „Werkzeug“ erlaubt sich Milo ein ganz klein wenig Grundrauschen – und mehr Charakter. Vor allem seinen satten Klangfarben ist es zu verdanken, dass eine recht frühe Digital-Produktion wie Vaya Con Dios Night Owl gar kein bisschen grätzig klingt. Bei „Nah Neh Nah“ beispielsweise kommen die Gitarren ein Stückchen natürlicher rüber als beim nüchternen BHA-1, der alles einen Hauch kälter und technischer klingen lässt.
Ich gebe gerne zu, dass mehr als 20 Jahre über Hifi zu schreiben, auch seine Spuren hinterlassen hat: Kaum habe ich den Milo nach den ersten Eindrücken auf der wärmeren, vollmundigeren, statt hell analytischen Seite eingeordnet, muss ich einmal ausprobieren, ob das in Kombination mit dem sehr überzeugenden Audioquest NightOwl Carbon (hier ein Link zu http://www.hifistatement.net/tests/item/1957-audioquest-nightowl-carbon), dessen Abstimmung in die gleiche Richtung geht, nicht ein wenig zu viel ist – oder sollte mir den Audioquest nur wegen der Namensgleichheit mit dem gehörten Album eingefallen sein? Wie dem auch sei, auch mit dem im Hochtonbereich eher zurückhaltenden NightOwl Carbon kann der Milo voll überzeugen: Die Musik fließt entspannt, aber plätschert keinesfalls spannungslos vor sich hin. Selbst Songs ohne das Schimmern von Becken wie Jonas Hellborgs tieffrequenter Monolog auf der akustischen Bassgitarre auf „Iron Dog“ vom Album mit dem wohl ironischen Titel The Silent Life fehlt es nicht an Luftigkeit oder an Saitenfunkeln. Dafür darf der Audioquest mit Hilfe des Milo mit seiner Dynamik und Schnelligkeit brillieren. Das Audioquest/Wells-Audio-Duo garantiert einfach stundenlanges, ermüdungsfreies Musikhören.
Dann versuche ich es noch einmal andersherum: Arild Andersons „If You Look“ lebt vor allem von der vielschichtigen, aber dennoch filigranen und Klangfarben starken Percussion – und die bringen Milo und Audioquest auch beeindruckend rüber. Zwar erscheinen die Klangfarben minimal gedeckter als beim Bryston, trotzdem wirkt der Wells Audio frei und offen. Trotz eines Hauchs weniger Luft um die Instrumente begeistert er mit seiner guten, aber nicht kalt-analytischen Auflösung und einer beeindrucken Tiefenstaffelung auf der imaginären Bühne. Die Pauken rollen dräuend, Impulse erklingen ansatzlos und mächtig: ein Genuss!
Aber der lässt sich ja noch steigern, beispielsweise mit dem Audeze LCD-X und einer guten Aufnahme in HighRes wie Mahlers Symphonie Nr. 6 von acousence: Es ist zwar schon enorm eindrucksvoll, wie viel großorchestrale Kraft Milo und LCD vermitteln können, aber noch intensiver wird das Erlebnis, wenn statt des unsymmetrischen der symmetrische Ausgang des Wells Audio aktiv wird: Das Klangbild gewinnt an Farbigkeit und Feinzeichnung, die Abbildung erscheint größer und der Höreindruck wird dem über Lautsprecher noch ein Stückchen ähnlicher. Für den abschließenden Vergleich des Milo mit dem Bryston spendiere ich dem LCD-X noch ein besserer symmetrisches Kabels als das von Audeze: das Habst HPLC Majesty (hier ein Link zu http://www.hifistatement.net/tests/item/1897-habst-hpcl-majesty). So wie Milo und Audeze nun einige meiner Test-Song und ein paar ein wenig in Vergessenheit geratene Stücke wiedergeben – enorm energiegeladen, farbig, mit einem Hauch Wärme, luftig und fein durchhörbar –, steht mir der Sinn nicht im mindesten nach Vergleichen. Dennoch: Der Bryston suggeriert noch ein ganz klein wenig mehr – kühlere – Luft um die Instrumente und löst dichtes musikalisches Geschehen noch einen Tick penibler auf. Die Energiedichte, die Spielfreude und die Emotionalität des Milo erreicht er aber nicht!
STATEMENT
Wells Audios Milo ist eher Genussmittel als Arbeitsgerät: Er nimmt den Hörer mit seinen satten, eher warmen Klangfarben für sich ein, strotzt vor Kraft und ist kein Kind von Traurigkeit. Auch in puncto Durchzeichnung und Raumillusion lässt er keine seiner Preisklasse angemessenen Wünsche offen. Mit dem Milo wird Musikhören über Kopfhörer zum emotionalen Erlebnis!
Gehört mit
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NAS | Melco HA-N1ZH60, WDMyCloud |
Streaming Bridge | Auralic Aries Femto mit SBooster BOTW P&P Eco |
D/A-Wandler | Chord DAVE |
Kopfhörerverstärker | Bryston BHA-1 |
Kopfhörer | Audeze LCD-X, EL-8 Titanium, Audioquest NightOwl Carbon |
Kabel | HMS Gran Finale Jubilee, Swiss Cables Reference Plus, Goebel High End Lacorde, Audioquest, Habst Ultra III und HPCL Majesty |
Zubehör | PS Audio Power P5, Audioplan Powerstar, HMS-Wandsteckdosen, Artesania Audio Exoteryc |
Herstellerangaben
Wells Audio Milo
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Ausgangsleistung | 18 Watt rms an 8Ω bei 1kHz mit weniger als 0,015% THD, 12 Watt rms an 32Ω @ 0,006% THD, 10 Watt rms an 46Ω @ 0,005% THD |
Frequenzang | ±0.25 db von 16Hz bis 30kHz |
Fremdspannungsabstand | 94db bei voller Leistung |
Eingangsempfindlichkeit | 0,72mV rms |
Verstärkung | 30db (12db Abschwächer erhältlich |
Eingangsimpedanz | 17kΩ |
Ausgangsimpedanz | 0,1Ω |
Dämpfungsfaktor | 80 bei 8Ω nominell |
Leistungsaufnahme | 42 Watt @ Leerlauf, 145 Watt @ Volllast |
Eingänge | 1 Paar Cinch, 1 Paar XLR (250 Euro Aufpreis) |
Ausgänge | 1 x vierpolig XLR, 1 x 6,3mm Klinke |
Betriebsspannung | 120 V, 230 V bei 50 oder 60 Hz |
Abmessungen (B/H/T) | 21/25/20cm |
Preis | 2000 Euro |
Vertrieb
audioNEXT GmbH
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Anschrift | Isenbergstraße 20 45130 Essen |
Telefon | 0201 5073950 |
info@audionext.de | |
Web | www.audionext.de |