Die hessische Marke Lyric ist die Konsequenz aus über viele Jahre Entwicklung und Vertrieb von Röhrenverstärkern gewachsener Erfahrung. Hohe Ansprüche nicht nur an den Klang lassen hier ein Geräte-Sortiment entstehen, das unter Kennern großes Interesse weckt.
Das Portfolio von Lyric Audio ist überschaubar: Es besteht aktuell aus dem bemerkenswerten zweiteiligen Phonovorverstärker PS 10 und nunmehr drei Vollverstärkern. Thomas Deyerling und Entwickler Stefan Noll stellen Qualität vor Produktvielfalt. Schließlich sind sie mit der chinesischen Marke Cayin am deutschen Markt breit aufgestellt und besten etabliert. Während Thomas Deyerling sich vorrangig um den kaufmännischen Part kümmert, unterstützte Dipl.-Ing. Stefan Noll das fernöstliche Cayin-Team in der Vergangenheit bei der Entwicklung. Auch Geräte der noblen Berliner Marke Voxativ tragen seine Handschrift. Wenn auch Lyric schon seit mehr als zwei Jahrzehnten immer wieder hörenswerte Audio-Geräte auf den Markt brachte, ist die seit gut zwei Jahren bestehende Firma ein Neubeginn, der die Marke eindeutig profiliert.
Wer von Ihnen, liebe Leser, Ende März vergangenen Jahres an dieser Stelle den detaillierten Bericht von Jürgen Saile über Lyrics neuen Vollverstärker Ti 100 gelesen hat, konnte sich wohl ein Bild von den musikalischen Vorzügen des Single-Ended Konzepts machen. Die Beschreibung mag Begehrlichkeiten geweckt haben. Doch möglicherweise hat der eine oder andere von Ihnen gedacht: Den hätte ich gern, aber die etwa 20 Watt sind mir dann doch zu wenig. Der Lyric Ti 140 löst dieses Leistungsproblem souverän und verspricht darüber hinaus eindrucksvollen Klang.
Die Beschäftigung mit einem Gerät, das so daherkommt wie der Lyric Ti 140, ist ein seltenes Vergnügen. Der erste Blick nach dem Entpacken aus dem schlichten Transportkarton lässt das Herz höher schlagen. Gut, ich muss da schon mal sehr tief Luft holen, um die 34 Kilogramm auf den vorgesehenen Platz zu hieven. Die Verarbeitung ist bestechend. Mein schwarz eloxiertes Testgerät ist ein Muster an Fertigungs-Präzision. 5600 Euro soll es kosten? Da schaue ich lieber noch einmal nach, ob die fünf nicht eine acht war. Kein Irrtum – beachtlich, was hier rein äußerlich für´s Geld geboten wird. Entwickelt und gebaut werden die Lyric Verstärker in Deutschland, um dem Anspruch der beiden Firmeninhaber an bestmögliche Fertigungsqualität zu genügen. Dies gilt erst recht für den Innenaufbau der Lyric Verstärker: Hier ist Sorgfalt ja klangrelevant.
Eine Besonderheit, die mein Tester-Herz höher schlagen lässt, ist das Vorhandensein sehr unüblicher Schalter. Die Lyric-Audio-Vollverstärker bieten dem Nutzer Optionen, die er bei anderen Herstellern sehr selten oder gar nicht findet. Schon beim Studium der Lyric-Website erfährt man über den Ti140, dass er mit vier verschiedenen Röhrentypen geliefert werden kann. Besonders attraktiv macht das Ganze, dass der Besitzer die vier angebotenen Bestückungs-Varianten mit EL34, KT88, KT120 oder KT150 jederzeit problemlos wechseln kann. Wer mag, kann sich mit vier unterschiedlichen Röhrensätzen bevorraten und diese nach Belieben einsetzen. Der Wechsel ist spielend leicht vollzogen: Nach dem Abnehmen des aufgesetzten, nicht verschraubten, sondern solide aufgesteckten Schutzkäfigs, ist alles Wichtige zugänglich. Die Röhren können leicht aus ihren Keramik-Fassungen gezogen werden. Sodann wählt man am Stellknopf mit der Bezeichnung „Tube Selector“ rechts neben den Leistungsröhren den neu implantierten Typ.
Nach dem Einschalten des Verstärkers gilt es dann, den für die Röhren passenden Ruhestrom einzustellen. Dazu ist der Ti 140 mit vier den einzelnen Röhren zugeordneten, sauber laufenden Potentiometern ausgestattet, die mit einem Schraubendreher bedient werden wollen. Der Bias ist dann korrekt eingestellt, wenn die grüne und die rote LED vor der jeweiligen Röhre gleichzeitig leuchten. Auf der linken Seite neben den Leistungsröhren liegt als Gegenstück zum „Tube Selector“ der Drehknopf „Bias Indicator“. Er schaltet die Bias Kontroll-Option ein oder aus. Aber nicht nur beim Wechsel der Endstufenröhren ist die regelmäßige Kontrolle des Ruhestroms angeraten. Sie erfolgt zweckmäßigerweise im erwärmten Betriebszustand, um sicher zu sein, dass sich der Arbeitspunkt der Röhre stabilisiert hat. Natürlich sollte man an dieser Stelle keinesfalls übertreiben: Vor jedem Hören den Bias zu kontrollieren, ist ganz sicher überflüssig.
Ich gebe gern zu, dass mich die Option, die Röhrensätze zu wechseln, etwas vom rechten Weg der knappen Gerätebeschreibung abgelenkt hat. Aber Testgeräte, die diese Möglichkeit bieten, bekommt man halt nicht alle Tage. Bei seiner Entwicklung hat Stefan Noll aber nicht in erster Linie experimentierfreudige Röhrenfans im Kopf gehabt: Mithilfe der unterschiedlichen Röhrentypen lässt sich das Zusammenspiel der Lyric Ti 140 mit den angeschlossenen Lautsprechern optimieren, denn jeder Röhrentyp bringt einen anderen Dämpfungsfaktor mit. Die größere Stromfähigkeit führt bei den leistungsstärkeren Röhren zu einer besseren Kontrolle der Chassis. Was die Leistung der verschiedenen Typen anbelangt, darf man in jedem Falle von 70 bis 80 Watt ausgehen. Um die richtige Bestückung zu finden, wurde der Lyric-Audio-Fachhändler entsprechend geschult. Er weiß um die Merkmale der einzelnen Typen und wie sich deren Charakter auf den angeschlossenen Lautsprecher auswirkt. Darüber hinaus ist man auch bei Lyric selber gern bereit zu helfen, falls Unklarheiten bleiben.
Preislich liegen die verschiedenen Röhren-Bestückungen nicht allzu weit auseinander: Mit etwa 5400 Euro ist ein Lyric Ti 140 mit EL-34 am günstigen. Mit einem Quartett KT-150 liegt der Preis bei 5900 Euro, mit vier KT-88 Gold Lion bei 5600 Euro. Für unser Testmodell mit den KT-120, denen Stefan Noll ein ausgezeichnetes Preis-Qualität-Verhältnis zuspricht, werden 5500 Euro aufgerufen. Für welche der Varianten man sich entscheidet, dürfte also in der Regel nicht am Preis, sondern an der Harmonie der jeweiligen Bestückung mit der übrigen Kette liegen. So ist man selbst dann auf der sicheren Seite, wenn irgendwann einmal andere Lautsprecher angeschafft werden: Die Ti 140 lässt sich durch eine entsprechende Röhren-Bestückung optimal an die veränderten Verhältnisse anpassen.
Auf der Rückseite unseres Ti 140 findet sich ein großer Dreh-Schalter, der die Variation der Gegenkopplung in jeweils drei Ein-Dezibel-Schritten für den Acht- und Vier-Ohm-Anschluss ermöglicht, um den Ti140 noch besser an den verwendeten Lautsprecher anzupassen. Fehlbedienungen sind nicht möglich, so dass man problemlos nach persönlichem Eindruck variieren kann. Je nach Lautsprecher kann eine stärkere Gegenkopplung das Klanggeschehen kontrollierter oder eine niedrige die Musik ein wenig runder wirken lassen. Dabei sollen die persönlichen Gegebenheiten und Hörgewohnheiten der Maßstab sein.
Unterhalb der drei mächtigen Trafogehäuse sind fünf Paar Cinch-Eingänge für hochpegelige Quellen zu finden. Darüber hinaus lassen sich einzeln oder gemeinsam zwei weitere Anschlüsse für ein Aufnahmegerät (Fixed Out) oder einen eine weitere Endstufe oder einen Subwoofer ordern. Der Pre-Out ist auch für lange Kabelverbindungen bestens geeignet. Sechs Lautsprecher-Terminals erlauben den Abgriff der Leistung hinter der Acht- oder der Vier-Ohm-Wicklung der mächtigen Ausgangsübertrager. Der Vier-Ohm-Anschluss wird für Lautsprecher mit sehr niedrigem Impedanzverlauf bis hinunter zu zwei Ohm empfohlen. Ansonsten bevorzugt Stefan Noll den Anschluss am Acht-Ohm-Abgriff. Die Ausgangstrafos beeindrucken durch ihren massigen Aufbau und ihre saubere Signal-Durchlässigkeit. Ihr üppiges Volumen verdanken sie dem großen Eisenkern, geschichtet in Ei Formation. Nur durch diesen großen Materialeinsatz ist die Breitbandigkeit des Frequenzganges von 15 Hertz bis 45 Kilohertz zu schaffen. Eine stabile Feder- Aufhängung hält die Trafos auf Abstand vom Gehäuse, damit der Verlauf der Feldlinien nicht abgelenkt wird. Solide Kunststoffelemente in der Umgebung garantieren ein magnetisch sauberes Umfeld. Zu den bei Lyric verwendeten, qualitativ hochwertigen Bauteilen im Inneren des Verstärkers hat sich Kollege Jürgen Saile seinerzeit bereits kenntnisreich und anerkennend geäußert.
In der Mitte der schön schlichten Front des Lyric Ti 140 ist der Lautstärkeknopf positioniert, mit dem man das hochwertige blaue Alps-Poti betätigt. Das ist motorisch angetroeben und kann ebenso wie Eingangswahl und Muting über die mitgelieferte Fernbedienung gesteuert werden kann. Recht folgen fünf grüne LEDs, die den gewählten Eingang anzeigen. Die rote LED daneben signalisiert, ob das Gerät stumm geschaltet ist, wie etwa dreißig Sekunden lang nach Einschalten des Verstärkers. Diese Zeit braucht der Ti 140, um sich intern zu stabilisieren. Heute ist es längs nicht mehr selbstverständlich, ein Gerät ohne Fernbedienung in allen Funktionen bedienen zu können. Bei Lyric Verstärkern ist dies möglich. Die elegante, silberne Fernbedienung gehört zum Lieferumfang. Sollten sie jedoch bereits Eigentümer einer System-Fernbedienung sein und keinen weiteren Infrarotgeber herumliegen haben wollen, auch kein Problem: Der Ti 140 versteht den RC5 Code. Da hat man nachgedacht im hessischen Schlüchtern.
Über die verschiedenen möglichen Endstufenröhren-Varianten hätte ich fast die übrige Röhrenbestückung vergessen. Als erstes durchläuft das Musiksignal zur pro Kanal eine 12AX7. Danach erledigt eine zweite 12AU7 die beim Gegentakt-Konzept benötigte Phasenumkehr. Vor den Endröhren sorgt je eine 6SN7 Doppeltriode für deren optimalen Antrieb. Der Ti 140 arbeitet als AB-Verstärker und realisiert so reichlich Watt, um für das überwiegende Angebot an Lautsprechern genügend Reserven zur Verfügung zu stellen. Die Voraussetzung dafür liegt im superben Netztrafo, der die zwei Ausgangstrafos sichtbar an Größe übertrifft. Allein der Abgriff für die Anodenspannung mit über 600 Watt ist mehr als großzügig dimensioniert. Der Netztrafo ist ebenfalls er in klassischer EI-Schichtung aufgebaut.
In den ersten Stunden des Einhörens habe ich mehrfach vom Feedback-Schalter Gebrauch gemacht, um die richtige Einstellung für meine Quadral M50 zu ermitteln. Da es sich ja um eine Feinjustierung handelt, war der Unterschied in Abhängigkeit von der Musik nicht immer gleich deutlich. Letztendlich empfand ich die Position eins, die maximale Gegenkopplung an acht Ohm, als beste Wahl. Wie mein Kollege Jürgen Saile im Test des Ti 100 bereits sagte, sollte der Feedback-Steller nicht dazu verleiten, bei jedem neuen Musikstück seine klangliche Wirkung zu erproben. Deshalb hat er auf der Rückseite auch seinen richtigen Platz. So lehne mich also entspannt zurück und öffne mich genusssüchtig den musikalischen Offerten. Der Lyric spielt so, wie ich es erwartet oder erhofft hatte, legt aber in einigen Aspekten noch eine Schippe drauf. Der Tiefbass kommt kraftvoll und plastisch, wobei es eigentlich unangemessen ist, Teilbereiche des Frequenzspektrums hervorzuheben. Denn die plastische Darbietung ist absolut homogen und unaufdringlich. Dabei erschließen sich alle erwarteten Feinheiten. Die Klangfarben schillern so schön aufgefächert, dass es eine wahre Freude ist. Der Lyric verbindet Auflösung und Detailreichtum mit dieser sympathischen offenen Leichtigkeit, deretwegen man sich überhaupt für einen Röhrenverstärker entscheidet. Seine Leistungsreserven erlauben es ihm selbst bei entsprechend fordernder Musik, diese Leichtigkeit auch in größere Lautstärken mitzunehmen. Die Verführung, laut zu Hören, hält sich aber in Grenzen, da er bei ruhiger Gangart bereits nicht das geringste vermissen lässt. So gelingt es ihm ohne Mühe, orchestrale Darbietungen entweder filigran sensibel oder druckvoll und durchgezeichnet wiederzugeben. Den Blick ins musikalische Geschehen öffnet er mit harmonischer Tiefenstaffelung, ohne zu übertreiben. Er klingt so, dass mir das spätabendliche Ausschalten nicht leicht fällt. Egal, ob es um Stimmen, Einzelinstrumente oder komplexe Strukturen geht, der Lyric beweist sein Können durch ermüdungsfreien und gleichzeitig mitreißenden Klang. Er neigt nicht zur Schönmalerei. Authentische Darstellung ist sein Metier. Er kann den Hörer locken, tief in die Musik hineinzuhorchen, weil er es versteht, Nuancen plastisch herauszuarbeiten. Dieser Verstärker gefällt mir ohne Wenn und Aber; und deshalb verspüre ich nicht die geringste Lust, die anderen Röhren-Varianten im Vergleich zu hören. Das überlassen ich gerne Ihnen.
STATEMENT
Der Lyric Ti 140 hat viele Stärken. Die wichtigste ist sicherlich seine begeisternde Musikalität, die er auch bei gesteigertem Leistungsbedarf bravourös zu Gehör bringt. Durch seine Variabilität, wie Feedback-Einstellung und optionalen Röhrentausch gibt er sich flexibel und zukunftssicher. Die Verarbeitung ist Extraklasse.
Gehört mit
| |
---|---|
Computer | Apple MacMini mit OS X El Capitan, Amarra 3.0.3 und Audirvana Plus |
DA-Wandler | Antelope Zodiac plus oder Audio-gd Master 7 |
CD-Player | Primare DVD 30 |
Plattenspieler | Brinkmann Bardo mit Musical Life Conductor 10 Zoll |
Tonabnehmer | Audio Technica AT33PTG/II, Clearaudio Da Vinci |
Phono-Vorstufe | Plinius Koru oder Primare R-20 |
Lautsprecher | Quadral Platinum M 50 |
Zubehör | Audioquest Diamond oder Carbon USB, Inakustik Black&White, NF-1302, QED Genesis Silver Spiral mit Enacom LS, MudrAkustik Max Netzleiste, Mudra und Audioquest NRG-X2 Netzkabel, AHP Reinkupfer-Sicherungen, Groneberg Wandsteckdosen, mbakustik Raum-Absorber |
Möbel | Creaktiv Audio mit Absorberböden, Finite Elemente Pagode, Audio Exklusiv d.C.d. Basis |
Herstellerangaben
Lyric Ti 140
| |
---|---|
Leistung | 2 x 70 Watt |
Ausgangsimpedanz | 4 und 8 Ohm |
Klirrfaktor | 1 % |
Fremdspannungsabstand | 92 dB |
Betriebsart | Class AB |
Frequenzgang | 15 Hz bis 45 kHz (-1dB) |
Eingänge | 5 x Line |
Optional | regelbarer Vorverstärker-Ausgang und Tape-Out |
Gehäuse | Aluminium gebürstet, silber oder schwarz |
Abmessungen | 440 B x 382 T x 232 H mm |
Gewicht | 34 kg |
Röhrenbestückung | 2 x 12 AX7, 2 x 12AU7, 2 x 6SN7 4 x EL34 oder KT88 oder KT120 (Testgerät) oder KT150 |
Preis | 5500 Euro mit KT120 |
Vertrieb
Noll & Deyerling GbR
| |
---|---|
Anschrift | Struthweg 6 D-36381 Schlüchtern |
Telefon | +49 6661 1538413 |
contact@lyric-audio.de | |
Web | www.lyric-audio.de |