Hier geht’s passend zur Jahreszeit, aber nicht zum Wetter um einen DAC/Kopfhörerverstärker für unterwegs des im Pro-Lager bestens beleumundeten Hersteller Lotoo und um einen magnetostatischen Kopfhörer mit moderatem Preis und Gewicht der hierzulande weniger bekannten Firma SendyAudio.
Ich hatte Ihnen letztens mehr Digitales versprochen, musste Ihnen aber den zweiten Teil des Berichts über den ADOT-Medienkonverter schuldig bleiben und stattdessen wieder ein Analogthema bringen. Sie ahnen schon warum. Momentan kann ich mich wirklich nicht entscheiden, gegen wen ich zuerst Verwünschungen ausstoßen möchte: Alle, die für den Brexit stimmten, UPS oder den Zoll. Der zweite ADOT-Medienkonverter liegt jedenfalls nun schon seit über zwei Wochen in einer Lagerhalle in Nürnberg und bewegt sich keinen Millimeter in Richtung Gröbenzell. Doch kommen wir zu etwas Erfreulicherem – und wie versprochen – Digitalem: Bei unserem letzten Gespräch freute sich Carsten Hicking, einer der Inhaber von audioNEXT, wohl schon auf den bevorstehenden Frankreich-Urlaub und schlug deshalb den Test einer Wandler/Kopfhörerverstärker-Kombination für unterwegs vor. Mit nicht einmal 30 Gramm passe der Lotoo PAW S1 in jede Hosentasche und mache die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Files nicht nur anhörbar, sondern selbst für anspruchsvolle Musikfreunde zum Genuss. Damit weckte er meine Neugierde zumindest soweit, so dass ich mich mal auf der Lotoo-Seite von audiodomain.de umsah.
Dort entdecke ich eine alte Bekannte: die Nagra LB, mit ich neben den ersten 42 Tracks für unsere Klangbibliothek auch einen Teil der Statements From Birdland für die kostenlosen Downloads aufgenommen hatte. Des Rätsels Lösung: Lotoo ist eine Marke der Beijing Infomedia Electronic Technology Co. Ltd, die als OEM-Hersteller auch für die schweizerische Nobelmarke Nagra fertigt. Mich hat das Wiedersehen jedenfalls so gefreut, dass ich mich spontan entschloss, den Lotoo PAW S1 nicht den Kollegen Jürgen Saile oder Finn Corvin Gallowsky zu überlassen, die sich bei Hifistatement üblicherweise der mobilen Audio-Gerätschaften annehmen. Da Carsten Hicking meine Abneigung gegen In-Ears – allein wegen des Tragegefühls – kennt und teilt, bot er an, einen SendyAudio Aiva mitzuschicken, der sich schon allein aufgrund seines Gewichts – 420 Gramm – für den mobilen Einsatz eigne: eine gute Empfehlung, wie ich bald darauf feststellen durfte.
Mein Audeze EL-8 Titanium ist laut Datenblatt zwar nur 40, laut Küchenwaage allerdings 80 Gramm schwerer und fühlt sich wohl auch wegen seiner geschlossenen Bauform und der Konstruktion des Kopfbügels deutlich massiver an: Sein Tragegefühl allein macht den Aiva für mich für unterwegs zum Kopfhörer der Wahl. Aber es geht selbst bei den hoffentlich bald steigenden Temperaturen ja nicht vor allem ums Haptische: Der Aiva arbeitet wie die Audezes nach dem magnetostatischen Prinzip, und die Fläche seiner Membran misst 97 mal 76 Millimeter. Die Gehäuse bestehen aus Zebraholz und besitzen auf der Rückseite Abdeckungen aus gelochtem Metall. Die recht konventionelle Kopfbügel-Konstruktion übt nur wenig Druck aus und trägt so zum hohen Tragekomfort bei. Der Aiva wird in einer harten Kunstlederbox geliefert, die auch ein monokristallines 6N-Kupferkabel mit 3,5-Millimeter-Mono-Klinkensteckern auf der einen und einem 4,4-Millimeter-Pentaconn-Stecker für den symmetrischen Betrieb auf der anderen Seite beinhaltet. Ein Adapter von Pentaconn auf 3,5-Millimeter-Stereo-Klinke liegt ebenfalls bei. Gegen Aufpreis ist zusätzlich auch ein Kabel mit vierpoligem XLR-Stecker erhältlich. Sendy Audio ist eine Marke der in China beheimateten Sivga Electronic Technology Company, Ltd. und hat momentan neben dem hier vorgestellten Aiva noch einen In-Ear-Hörer im Programm, ebenfalls ein Magnetostat.
Mehr Informationen hat audioNEXT zum Lotoo PAW S1 zu bieten: Die Wandlung übernimmt ein AKM4377 DAC-Chip, dessen integrierten Kopfhörerverstärker Lotoo jedoch nicht nutzt. Die Leistung von bis zu 120 Milliwatt an 32 Ohm pro Kanal stellt der Verstärker-Chip OPA1622 bereit. Der S1 verfügt über zwei Ausgänge: einmal den üblichen, unsymmetrischen mit einer 3,5-Millimeter-Klinkenbuchse und zum anderen einen symmetrischen 4,4-Millimeter-Pentaconn-Anschluss – und das ist, soweit ich weiß, bei Wandler/Kopfhörer-Kombinationen im USB-Dongle-Format ein Alleinstellungsmerkmal. Ähnlich selten dürfte bei dieser Gerätegattung ein – monochromes – Display sein. Nach dem Drücken der Taste „Fn“ kann man einmal die Verstärkung bestimmen: Da In-Ears und Over-Ears einen recht unterschiedlichen Leistungsbedarf haben, lässt sich beim S1 unabhängig von der Lautstärkeregelung mit ihren 100 Schritten zwischen den Verstärkungsfaktoren „Low“ und „High“ wählen. Zum anderen werden über die drei Tasten auch die Klang-Presets aktiviert, die bei Lotoo ATE – Acoustic Timbre Embellisher – heißen. Die mit Namen wie „Movie“, „Game“, „Brighter“ oder „Full Bass“ sind selbsterklärend, aber es gibt hier beispielsweise auch „Dental“. Über die Wahl der Bezeichnungen hat sich ja Jürgen Saile schon in seinem fast überschwänglichen Bericht über den Lotoo PAW Gold Touch gewundert. „PAW“ steht übrigens für „Portable Audio Workstation“ und verweist auf die von Infomedia vor allem für den Rundfunk entwickelten Aufnahmegeräte mit ihren Nachbearbeitungsmöglichkeiten und wurde wohl als Hinweis auf die professionelle Herangehensweise auch bei der Konzeption der Digitalen Audio Player für diese Gerätegattung übernommen.
Dazu passt es auch, dass Lotoo alle Abtastraten nutzt, die der AKM-Chip verarbeiten kann: 384 Kilohertz bei bis zu 32 Bit sowie DSD128. Da ich auf dem iPhone nicht allzu viele Files gespeichert habe – einige Alben in DSD256 belegen einfach eine Menge Speicherplatz – höre ich den S1 auch mit Musik von der USB-Festplatte über das MacBook Pro und das Asus ZenBook. Von beiden wird der S1 sofort erkannt und spielt anstandslos und ohne Treiberinstallation PCM 384 und DSD256: sehr komfortabel. In Sache Kompatibilität mit Hardware und Datenformaten gibt es also nicht die geringsten Probleme, so dass ich mich jetzt völlig auf den Klang konzentrieren kann.
Mit bekannten Komponenten kann ich S1 und Aiva immer noch vergleichen und deshalb höre ich mich erst einmal ein wenig auf das Duo ein – und bin gleich doppelt überrascht. Zum einen davon, welch großartiges Musikerlebnis selbst mit Daten von einem Mobiltelefon möglich ist: Der Lotoo PAW S1 und der SendyAudio Aiva bringen einem die Musik ungeheuer nahe. Dabei ist das Klangbild sehr offen, detailreich, dynamisch und völlig frei von tonalen Auffälligkeiten. Die Wiedergabe besitzt eine beeindruckende Selbstverständlichkeit. Zum anderen bin ich nicht gewohnt, so lange unter einem Magnetostaten mit seinen prinzipbedingt nicht gerade wenigen und leichten Magneten so entspannt auszuharren. Während meiner Netz-Recherchen zu Lotoo und SendyAudio habe ich einfach nur die Musik genossen und das Tragen des Kopfhörer komplett vergessen. Bleibt noch nachzutragen, dass ich beim S1 keines der Klang-Presets aktiviert hatte und das iPhone 11 die teils hochaufgelösten Dateien über die Onkyo-HF-Player-App an die Lightning-Buchse ausgegeben hat. Beim S1 dient eine USB-C-Buchse als Eingang, ein kurzes USB-C-auf-USB-C-Kabel gehört zum Lieferumfang, ein USB-A-auf-C-Adapter ebenfalls. Für iPhone-Nutzer wird ein Lighting-auf-USB-C-Kabel zum Preis von 40 Euro angeboten.
Nach den erwähnten Funktionstests und ein wenig Hintergrundbeschallung ließ mich Bobo Stensons War Orphans aufhorchen. Spätestens beim zweiten Stück des Trio-Albums stellte ich sämtliche parallelen Tätigkeiten ein und konzentrierte mich ganz auf „Natt“: Das einige Minuten lange Bass-Intro verwöhnte mit holzigen Klängen, Griffbrettgeräuschen, einer dynamischen Lebendigkeit und der wunderbar nachvollziehbaren Tonentfaltung im – imaginären – Raum. Als dann sanft das Schlagzeug einsetzte, glaubte man das Holz der Sticks auf den Becken auftreffen zu sehen. Auch der Flügel wurde völlig frei von technischen Artefakten aufgezeichnet und wird auch so reproduziert. Wenn man mit geschlossen Augen Musik genießt, möchte man fast nicht glauben, dass die Daten von einem schnöden Mobiltelefon kommen und der Rest der „Kette“ für unter 900 Euro zu haben ist.
Auch wenn ich nicht Hifistatements Spezialist für mobile Musikwiedergabe bin, finde ich doch zwei Wandler/Kopfhörerverstärker-Kombinationen in meinem Fundus, um die Qualität des S1 einzuordnen. Der Audioquest Dragonfly Cobalt beschert Van Morrisons „Whatever Happened To PJ Proby?“ einen Hauch mehr Wärme, raubt dem Song dadurch aber auch ein wenig von seinem Drive, den der S1 mehr in den Fokus rückt. Bei Gianluigi Trovesis „Herbcap“ vom Album Dedalo nimmt mich der Lotoo mit seiner Offenheit und Durchzeichnung für sich ein. Da er dennoch auch in lauteren und dichteren Passagen nie nervös oder auch nur ansatzweise zu hell klingt, vermisse ich das rundere, minimal fülligere Timbre des Cobalt nicht. Wer sich – deutlich – mehr Tieftonenergie wünscht, als der S1 im linearen Betrieb zu bieten hat, kann es ja mal mit dem Preset „Full Bass“ probieren. Mit ist es zu viel des Guten. Da der Lotoo bisher so eine gute Figur macht, darf er sich nun auch noch mit Chord Electronics' MOJO messen, auch wenn sich der in einer höheren Preisklasse tummelt und deutlich mehr Volumen beansprucht: Der S1 kommt dem Chord verboten nahe. Es ist nur eine Spur Souveränität und minimal mehr Offenheit, die der MOJO dem S1 voraus hat – zumindest wenn der SendyAudio die Signale der beiden wandelt. Mir fehlt beim Lotoo/Aiva-Duo nicht das geringste!
Mein Lieblingskopfhörer in der Kategorie „noch bezahlbar“ ist bisher der Audeze EL-8 Titanium. Da ich ihn vorrangig bei Aufnahmen oder zum spätabendlichem Musikgenuss verwendete, hatte ich mich damals für ein geschlossenes Modell entschieden. Es war vor allem – zumindest im Bereich um die Ohren – der fast körperhaft erfahrbare Druck, der mich für ihn einnahm. Nach längerer Kopfhörerabstinenz muss ich mich jetzt aber erst wieder an sein beträchtliches Gewicht und den recht hohen Anpressdruck gewöhnen, mit dem die Ohrmuscheln am Kopf anliegen. Der garantiert zwar, dass möglichst wenig Umgebungsschall die Wiedergabe beeinträchtigt, provoziert aber auch eine erhöhte Wärmeentwicklung rund ums Ohr. Im Vergleich dazu ist das Tragen des SendyAudio die reine Wohltat. Zudem dosiert dieser die Tieftonenergie ein weniger zurückhaltender, und das kommt meinem momentanen Geschmack sehr entgegen. Ich gebe gerne zu, dass mich der EL-8 Titanium mit seinem Bass anfangs tief beeindruckte. Für einen langfristigen, ermüdungsfreien Musikgenuss ziehe ich inzwischen aber eine sehr ausgewogene, effektfreie Spielweise vor. Und genau damit verwöhnt der SendyAudio Aiva.
Deshalb traue ich mich mit ihm auch an Schostakowitschs Symphonie Nr. 15, die der Aiva recht luftig und sehr fein durchgezeichnet präsentiert. Die Instrumentengruppen werden sehr präzise differenziert und ich bekomme eine Ahnung vom Aufnahmeort vermittelt. Und mehr kann ich wirklich nicht verlangen, denn es war mir noch nie gegeben, bei einem Kopfhörer eine Vorne-Ortung und damit eine glaubwürdige Tiefenstaffelung zu erleben. Bei dieser gelungenen Aufnahme lassen einen S1 und Aiva in kräftigen Klangfarben schwelgen. Selbst in Fortissimopassagen kippt die Wiedergabe nie ins Spitze oder gar Raue. Und wer schwere Endstufen und Lautsprechern mir reichlich Membranfläche gewohnt ist, kann nur darüber staunen, zu welchen dynamischen Eruptionen der S1 die Folien des Aiva treiben kann. Nach dem Einsatz der tiefen Pauken steht für mich fest, dass der grazile Verstärker und der SendyAudio auch in Sachen Bassenergie keine Wünsche mehr offen lassen: Einfach großartig!
STATEMENT
Es hat mich wirklich überrascht, welch audiophile Genüsse mit einen Mobiltelefon, nicht einmal 30 Gramm Elektronik und einem sehr guten Kopfhörer möglich sind. Wer mit dem Lotoo PAW S1 und dem SendyAudio Aive unterwegs ist, dürfte sein High-End-Kette so schnell nicht vermissen. Diese Kombination ist wirklich empfehlenswert!
Gehört mit
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Kopfhörer | Audeze EL-8 Titanium |
DAC/Kopfhörerverstärker-Kombination | Audioquest Dragonfly Cobalt, Chord Electronics MOJO |
Herstellerangaben
Lotoo PAW S1
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Unterstützte Formate | PCM 32K-384KHz DSD64/DSD128 |
Gewicht | 27,10g |
Größe | 66 x 22 x 13mm |
Ausgangsleistung | 3,5mm:70mW @32Ω 4,4mm:120mW @32Ω |
Kopfhörerausgänge | 3,5mm Klinke 4,4mm Pentacon symmetrisch |
Frequenzumfang | 3,5mm: 20Hz - 20KHz:+0/-0,017dB 4,4mm: 20Hz - 20KHz:+0/-0,016dB |
USB-Port | USB Typ C |
Bezugspegel | 3,5mm: -118dBu 4,4mm: -114dBu |
Display | OLED 128x32 |
Verzerrungen | Low gain: -106dB(0.0005%) High gain: -108dB(0.0004%) |
Betriebssystem | LTOS |
Signal-Rausch-Verhältnis | 3,5mm: 123dB 4,4mm: 122dB |
Firmware | Update wird unterstützt |
Preis | 200 Euro, Lotoo PAW Lightning Cable 40 Euro |
Herstellerangaben
SendyAudio Aiva
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Treiber | planarmagnetisch (Magnetostat) |
Treibergröße | 97x76 mm |
Frequenzgang | 5Hz - 50kHz |
Empfindlichkeit | 96dB |
Impedanz | 32Ω |
Gewicht | 420g |
Preis | 650 Euro |
Vertrieb
audioNEXT GmbH
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Anschrift | Isenbergstraße 20 45130 Essen |
Telefon | 0201 5073950 |
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